Zerstörungen, Plünderungen und Beschlagnahmen

Im Laufe des frühen Morgens (ab 5 Uhr) wurden mehrere Geschäfte demoliert. Mit Findlingen und Kopfsteinen warf man die Scheiben ein, begleitet vom lauten Gejohle und Begeisterungsrufen einiger SA-Männer. Im Schlachtereigeschäft Moritz de Vries in der Hindenburgstraße, unmittelbar gegenüber der Predigerwohnung von Boley, wurde die gesamte Inneneinrichtung demoliert. Ein neuer Tresen wurde vollständig zerstört. Bei Boleys warfen am Vormittag sogar noch Schuljungen mit Steinen durch die zerstörten Fenster gegen die noch auf dem Tisch stehenden Geschirrteile. Durch die nach hinten liegenden Fenster drangen die Täter ins Haus und zerrissen die in den Schränken aufbewahrte Wäsche. Bei einigen SA-Leuten hat es während dieser Aktion wohl Gewissensbisse gegeben, denn sie versuchten, sich vom Dienst zu entfernen. Ein SA-Mann sorgte während der Nacht dafür, dass die alarmierten SA-Leute zusammenblieben und ihre Aufgaben durchführten. Am 10. November erfolgte gegen Mittag eine groß angelegte Plünderung bei dem Manufakturwarengeschäft de Jonge, Am Hafen Nr. 5. Das umfangreiche Lager und die Geschäftswaren wurden in mehreren Fahrten mit einem Lkw mit Plane abtransportiert. Bei dieser Aktion waren mehrere SA-Männer beteiligt. Ein SA-Mann und Sturmbannführer Lahmeyer leiteten die Erfassung und den Abtransport. Die beschlagnahmten Waren wurden am Nachmittag listenmäßig aufgenommen und nach Leer zur NSV-Sammelstelle gefahren. Nach der Übergabe an die NSV wurden die beschlagnahmten Textilien später an Bedürftige verteilt. Die jüdischen Besitzer bekamen keine Entschädigung.

Noch während des Synagogenbrandes kam es auch beim Bäcker Arends in der Hindenburgstraße und bei der Manufakturwarenhandlung Eva de Jonge, Neue Straße 2, zu Plünderungen.

Nach verlässlichen Aussagen mehrerer Zeugen sollen Waren auch in das in der Hindenburgstraße befindliche Parteihaus der NSDAP gebracht worden sein. Mit einem 1,5-t-Lkw wurde der Transport durchgeführt. Später zeigten sich mehrere Parteimitglieder unverblümt mit den bei der Plünderung angeeigneten Sachen in der Öffentlichkeit. Dabei handelte es sich um wertvolle Bekleidungsstücke, die ihre Träger aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zur damaligen Zeit nicht hätten bezahlen können. In der Öffentlichkeit wurde hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen.

Wie von der Parteileitung angeordnet, beschlagnahmte man bei den Verhaftungen und im Anschluss daran in den Privathäusern der Juden vor allem Geld und Wertgegenstände. Eine von der SA-Standarte 3 (Leer) übermittelte Liste weist buchhalterisch die einzelnen Objekte auf Unter dem Datum des 28. November 1938 übermittelte der Bürgermeister von Leer eine Aufstellung über erfasste Wertgegenstände. In dieser Liste sind 65 Beschlagnahmungen aus dem Kreisgebiet verzeichnet. Dabei kam es auch zu Mehrfachnennungen gleicher Bürger sowie zur Nennung der Synagogengemeinde. Eine Auswertung dieser Liste ergibt, dass bei zwölf Juden in Weener und 44 im Landkreis Leer Beschlagnahmungen stattfanden (so auch in Bunde, Oldersum, Warsingsfehn, Loga und Leer). Die Gesamtzahl von 56 Personen ist dann wiederum identisch mit der Zahl von Häftlingen, die von Leer aus mit dem Lkw nach Oldenburg transportiert wurden.

Für ebenfalls 56 Personen forderte der Bürgermeister in Leer als Ortspolizeibehörde dann bei der Gestapo in Wilhelmshaven am 24. November 1938 die Erstattung der entstandenen Kosten für die Verpflegung für 56 Häftlinge am 10. und 11. November 1938. In Weener waren folgende Personen von den Beschlagnahmungen betroffen:

1.Hermann Herson (wahrsch. Gerson) (Adolf-Hitler-Str. 50)
2.Abraham Gerson(?)
3.Moritz Gerson(Adolf-Hitler-Str. 50)
4.Gebrüder GersonAdolf-Hitler-Str. 50
5.Elso de JongeStraße der SA 2
6.Frau Jakobs Wtw.Straße der SA 2
7.Stella MeyerStraße der SA
8.Simon GossenAm Hafen 13
9.Salley BoleyHindenburgstraße 13
10.Joseph AronsSüd(er) Straße 44
11.Rosa Israels(Süderstraße 27)
12.Samuel de JongeMühlenstraße

Mit buchhalterischer Sorgfalt, aber auch mit Oberflächlichkeit und pauschaler Formulierung sind die verschiedenen Gegenstände aufgeführt. Einerseits ist etwa die Füllmenge für bestimmte Gefäße angegeben, um daraus Rückschlüsse zu ziehen auf die Größe und den Wert des Gegenstande (z. B. Zinnbecher, halber Liter), andererseits heißt es sehr allgemein: ein Beutel mit alten Gold- und Silbermünzen. Über die Anzahl bzw. über das Prägejahr ist nichts ausgesagt.

Eine Unterteilung nach Sachbereichen ergibt, dass die Beschlagnahmungen sich vor allem auf Essbestecke, Haushaltsgegenstände, Schmuck, Münzsammlungen, Taschenuhren, Bankbücher, Reisepässe und Bargeld erstreckten. Die beschlagnahmten Gegenstände waren hauptsächlich aus Silber, teilweise aus Gold; aber auch einfache Küchenbestecke aus Alpaka waren darunter. Auch die Kultusgegenstände aus der Synagogengemeinde Weener (12teilig, Silber) wurden bei Prediger Salley Boley beschlagnahmt. Eine genaue Spezifizierung unterblieb auch hier. Die Auflistungen gehen von einer einzigen Nennung bei manchen Personen (Bargeld 100 Reichsmark) bis zu 28 Positionen verschiedenster Art.

Bereits am 15. November wies die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Wilhelmshaven, die Landräte an, alle erfassten Werte ... ordnungsmäßig durch die Partei und die Gliederungen zu registrieren. Die Partei und ihre Gliederungen haben für die ordnungsmäßige Aufbewahrung der von ihnen erfassten Gegenstände Sorge zu tragen. Ist ihnen eine ordnungsmäßige Aufbewahrung nicht möglich, so haben sie die Gegenstände der Polizei zu übergeben.

Einen Tag später gab der Landrat den Bürgermeistern in Leer und Weener und den Abteilungskommandanten in Leer I, II und Weener diese Verfügung bekannt und bat um Übersendung einer Aufstellung an ihn. Gleichzeitig forderte er einen sofortigen Bericht, falls Zuwiderhandlungen gegen die angeordneten Maßnahmen bekannt werden. Am 28. November übermittelte Kriminaloberassistent Büscher aus Leer die von der SA-Standarte 3 gefertigte Aufstellung.