Die Reichspogromnacht und das Ende der jüdischen Gemeinde in Weener
von Fritz Wessels
Die jüdische Gemeinde Weener am Vorabend der "Machtergreifung"
Die Synagogengemeinde Weener umfaßte nach dem Statut vom 31. Juli 1921 "die in den Ortschaften der vormaligen Amtsvogtei Weener, als Weener, Weenermoor, St. Georgiwold, Kirchborgum, Holthusen, Smarlingen, Tichelwarf; Stapelmoor, Diele, Vellage und Halte wohnenden Juden". Das Statut regelte die Organisation und Selbstverwaltung der Gemeinde. Es löste nach mehr als 45 Jahren das Statut vom 26. August 1874 ab.
Während des Ersten Weltkrieges blieb die Mitgliederzahl über mehr als sechs Jahre konstant bei 204 Seelen. Gab es bei Kriegsanbruch insgesamt 45 Familien, so lag 1925 die Gesamtzahl der Mitglieder mit 46 Familien und nur noch 156 Seelen um rd. 25 % niedriger. Durch die Verringerung der Geburtenquoten wurde dann der Bestand der jüdischen Schule immer mehr gefährdet. Von diesem Zeitpunkt an sank die Mitgliederzahl langsam aber beständig bis auf 123 Personen im Juni 1933.
1917 zeichnete die Gemeinde wie andere Verbände und Organisationen zur finanziellen Unterstützung des Krieges Kriegsanleihen und verschuldete sich dadurch sogar. Bei Kriegsende waren drei Tote zu beklagen, die in den Jahren 1914-18 ihr Leben ließen. Ihre Namen werden zusammen mit denen der anderen Kriegstoten genannt, denen zu Ehren ein großes neues Ehrenmal errichtet wurde. Die Namen der gefallenen jüdischen Mitbürger blieben dann während der gesamten NS-Zeit unbehelligt auf den Steintafeln, obwohl es seit dem 21. Oktober 1935 Anweisungen gegeben hatte, die Namen jüdischer Soldaten des Ersten Weitkrieges zu entfernen. In den zwanziger Jahren wurde die jüdische Volksschule auf der Grundlage des sog. Abbaugesetzes durch Minister-Erlaß geschlossen. Zu dieser Zeit (1924) besuchten nur noch vier Kinder die Schule. Von 1925 an erhielten die noch schulpflichtigen Kinder Unterricht in der katholischen Volksschule. Jüdischer Religionsunterricht wurde jedoch noch weiterhin den schulpflichtigen Kindern erteilt. Zwischen 1853 und 1925 unterrichteten sieben Lehrer an der jüdischen Volksschule. Bei der Volkszählung vom 16. Juni 1925 wurden noch insgesamt 152 Personen als Mitglieder der Synagogengemeinde Weener gezählt, davon drei aus Stapelmoor. Für Weener wurden 4210 Einwohner ermittelt Damit waren 3,5 % der Gesamtbevölkerung jüdischen Glaubens.
1930 zählte die Synagogengemeinde bei einer Einwohnerzahl von 4100 Einwohnern für Weener 142 Juden in 40 Familien. In der Wohlfahrtspflege arbeitete mit 42 Mitgliedern ein "Israelitischer Frauenverein", dessen Zweck und Arbeitsgebiet darin bestand, hilfsbedürftigen Frauen und Mädchen Unterstützung zu gewähren.
1828 begannen die Vorbereitungen für den Bau einer Synagoge in Weener, die 1829 in der Westerstraße eingeweiht wurde Am 3. Juli 1828 war das Grundstück zum Bau der Synagoge angekauft worden. Vorher hatte in einem Lokal in der Westerstraße der Gottesdienst stattgefunden. Die rasche Entwicklung der Synagogengemeinde erforderte den Bau eines Wohnhauses für den Lehrer. 1837 wurde unmittelbar an der Straßenfront der Westerstraße das Lehrerwohnhaus errichtet. Zwischen beiden Gebäuden wurde 1853 das jetzt noch vorhandene Schulgebäude erbaut. 1887 wurde die Lehrerwohnung abgebrochen und durch ein neues Gebäude auf derselben Stelle ersetzt.
1928 wurde die Synagoge zur Hundertjahrfeier völlig renoviert, und vom 20. bis 22. September feierte die Synagogengemeinde Weener ihr lOOjähriges Bestehen mit feierlichem Gottesdienst und öffentlichem Empfang im "Hotel zum Weinberg". Zu diesem Anlaß wurde eine vom Synagogenvorstand herausgegebene Denkschrift vorgelegt, die über die Gründung und das Leben der Gemeinde informierte. Im Jahresbericht vom Landrabbinat Emden an den Regierungspräsidenten in Aurich heißt es über das Jahr 1929, daß der Gottesdienstbesuch regelmäßig am Sonnabend, an den Festtagen und an den Jahreszeittagen der Gemeindemitglieder stattfand. Das Schulgebäude war in gutem Zustand, jedoch bedurfte das Ritualbad dringend einer Renovierung. Dieses Ritualbad (Frauenbad) befand sich in einem der Wohnräume in der Lehrerwohnung. Zusätzlich befand sich darin das Gemeindezimmer. 1929 existierte neben dem bereits genannten Verein auch ein "Frauenverein zur Verschönerung der Synagoge"..
Seit 1876 bestand eine "Israelitische Kranken- und Beerdigungsbruderschaft", in der 1930 26 Mitglieder tätig waren, um sich um die Krankenpflege und das Bestattungswesen zu kümmern.
Der älteste Friedhof befindet sich in Smarlingen zwischen Weener und Holthusen. Dieser Friedhof, der für die damaligen Wohnverhältnisse weitab von der Ortschaft lag, erlebte 1848 seine letzte Beerdigung. Der näher zum Kernbereich der Stadt gelegene Friedhof an der Graf-Ulrich-Straße, am Rande der Wegverbindung Weener-Stapelmoor, wird ab 1850 genutzt. Der neueste und jüngste Friedhof; inzwischen am nächsten zur Ortschaft gelegen, wird 1896 an der Graf-Edzard-Straße seiner Bestimmung übergeben. Die letzte Beerdigung fand dort im November 1982 statt, für den letzten jüdischen Mitbürger Weeners, Samuel Lazarus aus Stapelmoor, der das Konzentrationslager überleben konnte und 1957 wieder in seine ehemalige Wohnung eingezogen war. 59 Namensplatten dienen auf den Gräbern als Ersatz für die ab 1943 abtransportierten Grabsteine. Ein hiesiger Steinmetz war 1943 aufgefordert worden, für den Ankauf der Grabsteine ein Angebot abzugeben. Für 1000 Reichsmark wurden dann nur die für eine weitere Verwendung nutzbaren Grabsteine verkauft.
Im Sommer 1933 lebten bei einer Gesamteinwohnerzahl von 4280 Bewohnern 123 Juden (57 männlich, 66 weiblich) in Weener; das waren 2,9 % der Gesamtbevölkerung. Davon waren 14 Kinder im schulpflichtigen Alter und ein Kind von drei Jahren, 21 Personen im Alter bis zu 20 Jahren, 44 Personen von 21 - 40 Jahren, 43 Personen zwischen 41 und 65 Jahren und 15 über 65 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der jüdischen Bevölkerung betrug zu dieser Zeit rd. 40 Jahre.