DIE "KRISTALLNACHT" VON WEENER
Schwurgericht Aurich
(BA) Aurich. Im Zusammenhang mit dem Synagogenbrand von Weener standen acht Angeklagte vor dem Schwurgericht Aurich. Die Anklagepunkte lauteten auf Landfriedensbruch, Brandstiftung, Freiheitsberaubung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Keinem der Angeklagten sei der Ruf eines Fanatikers voraufgegangen, erklärte Landgerichtsdirektor P. bei der Urteilsbegründung am dritten Tage der Schwurgerichtsverhandlung. Die von der SA gehaltene Aktion sei hier nur im engsten befohlenen Rahmen durchgeführt worden, ohne daß sie im allgemeinen von den Angeklagten gebilligt worden sei.
Wie in den bisher verhandelten "Kristallnächten" kamen auch hier die Anordnungen von der SA-Standarte. Der 63jährige damalige SA-Obersturmbannführer, J.L. gab den befohlenen Anruf. Die Synagoge brannte, Juden wurden aufgeholt und ins Rathaus gebracht und Läden geplündert. Die Waren des jüdischen Geschäfts d. J.gingen nach Leer und wurden dort über die NSV an die ärmere Bevölkerung verteilt. Mißhandlungen, wie sie andererorts in Erscheinung getreten waren kamen in diesem Prozeß weniger zur Sprache.
Neben L. standen sieben weitere Angeklagte vor Gericht: der Maurer W., der Kutscher S., der Gärtner B, der Lohnbuchhalter S. und drei weitere, die später, freigesprochen wurden.
Die Verteidiger plädierten auf Freispruch. Der Staatsanwalt hatte für L. drei Jahre Zuchthaus und für W., S., S. und B. Gefängnisstrafen von einem Jahr und zwei Monaten bis zu sieben Monaten, für die übrigen drei Freispruch beantragt.
Das Gericht verurteilte L. zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis, da er die Anordnungen weitergegeben hatte. Seine Handlung sei bewußt und gewollt gewesen. Bei gewissen Angeklagten seien die Voraussetzungen zum Menschlichkeitsverbrechen gegeben, während er selbst der Brandstiftung nicht überführt werden konnte. In bezug auf die Freiheitsberaubung an den Juden hätte er damit rechnen müssen, daß ihre Haft sich über eine Woche erstrecken müßte und sie großen seelischen Ängsten ausgesetzt sein würden.
W. erhielt sechs Monate Gefängnis wegen Freiheitsberaubung. S. wegen des gleichen Deliktes vier Monate, B. bekam wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in einem Falle und Freiheitsberaubung sechs Wochen Gefängnis, S. wegen Freiheitsberaubung einen Monat Gefängnis. Die Verhandlungskosten tragen die Verurteilten, während der Staatskasse die Verhandlungskosten der Freigesprochenen zufallen. L's erlittene Untersuchungs- und Internierungshaft von insgesamt drei Jahren und neun Monaten wurde voll angerechnet und der Haftbefehl aufgehoben.
Günstig wirkte sich weiter für den Angeklagten L. aus, daß er dem Standartenführer von Leer Widerstand entgegengesetzt hatte als dieser ihm Vorhaltungen gemacht hatte, daß in Weener "zu wenig passiere". W. hatte sich geweigert, Fensterscheiben einzuwerfen.
aus: Nordwest-Zeitung, 24.2.49