Die Bauern und Nationalsozialisten

»Blut und Boden in Ostfriesland« - Rheiderländer an vorderster Front - Vortrag

had  Ostfriesland. Während der nationalsozialistischen Machtherrschaft von 1933 bis 1945 unterschied sich die Situation in der »gleichgeschalteten« und nach dem Führerprinzip organisierten ostfriesischen Landwirtschaft ideologisch und strukturell zwar nicht von anderen deutschen Regionen, wies aber dennoch einige, wenn auch nicht allgemein gravierende Besonderheiten auf. Zu diesem Ergebnis kam die Historikerin Dr. Beatrix Herlemann (Hannover) im Rahmen einer gut besuchten Vortragsveranstaltung der Landschaftsbibliothek und des Niedersächsischen Staatsarchivs in Aurich.

Nach der folgenschweren Inflationskrise zu Beginn der zwanziger Jahre erholte sich die Landwirtschaft nur bedingt und kurzfristig. Sie kam im Grunde aus dem Druck der Geldknappheit nicht heraus und steuerte dann in eine größtenteils hausgemachte Agrarkrise, indem sie auf Quantität statt Qualität setzte, den ins Land fließenden Importen nicht gewachsen war und sich auch durch den Ankauf teurer Maschinen hoch verschuldete. Hinzu kamen einige schlechte Ernten, sinkende Getreidepreise und mangelnder Absatz in der Viehwirtschaft. Die führende, konservativ geprägte Schicht äußerte in der »Landvolkbewegung« offen ihre Abneigung gegen die demokratisch verfasste Weimarer Republik (gegen die immer wieder zitierten »Roten«), inszenierte Protestmärsche und spektakuläre Notkundgebungen und praktizierte in vielen Fällen die Steuerverweigerung.

Vor diesem Hintergrund konnten völkisch-nationale Heilslehren, vor allem aber die Nationalsozialisten mit Ankündigungen und Versprechungen in den ländlichen Regionen zunehmend an Boden gewinnen und in den Wahlen entsprechende Erfolge erzielen. Nachdem sie 1933 die Macht übernommen hatten, rückte das »Bauerntum« als »Reichsnährstand« in den Mittelpunkt ihrer Blut- und Bodenideologie.

Die Staatspartei löste alle bisherigen Strukturen und Verbände auf, verordnete die Pflichtmitgliedschaft im neuen »Reichsnährstand«, leitete Entschuldungsmaßnahmen ein und setzte noch 1933 das rassisch gefärbte Reichserbhofgesetz in Kraft, das die Erbfolge in »bauernfähigen« arischen Betrieben bestimmte und den Bauern die selbständige Entscheidung nahm. Die strikte Planwirtschaft mit Marktlenkung, Anbau- und Abgaberegelungen sowie Vorratsschaffung galt dem Ziel, das deutsche Volk aus eigener Kraft zu ernähren. An vorderster Front im NS-Gau Weser-Ems agierte ab 1936 der aus Bunderhee stammende Landesbauernführer Jacques B. Groeneveld.

Ihr besonderes Augenmerk richteten die Nationalsozialisten auf die Verdrängung der jüdischen Viehhändler, die laut Dr. Herlemann in Ostfriesland weitgehend in einem guten Ruf standen, weil sie prompt und bar bezahlten. Die Landwirte mussten so genannte »Judenlisten« unterschreiben und bei einer Verweigerung in Kauf nehmen, als »Judenknechte« diffamiert zu werden.

Landflucht, günstigere Beschäftigungsmöglichkeiten in der Rüstungsindustrie und die zunehmenden Einberufungen zur Wehrmacht verursachten schon vor dem Zweiten Weltkrieg einen empfindlich spürbaren Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft. So kam es auch in Ostfriesland zum Einsatz von Kriegsgefangenen und verschleppten Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten. Deren Lebensführung und der Umgang mit ihnen war scharfen Reglementierungen unterworfen; sie hatten auf »deutscher Scholle« hart zu arbeiten und die »Reinhaltung des deutschen Blutes« war oberstes Gebot. Dennoch gab es Ausnahmeerscheinungen, angesichts derer allerdings die Gesamtsituation im allgemeinen und das Schicksal dieser Menschen nicht verharmlost werden kann, wie es einige Zuhörer der Auricher Vortragsveranstaltung versuchten.

Wenn es um den Eigennutz ging, hingen die ostfriesischen Bauern im Dritten Reich in einigen nachweisbaren Fällen nur bedingt den Nationalsozialisten an. So gab es noch bis 1935 Fälle von Steuerboykott und bis Kriegsende Auseinandersetzungen um die Folgen des Reichserbhofgesetzes. Das streng verbotene, aber massenhaft betriebene Schwarzschlachten galt auf dem Lande insgeheim als »Kavaliersdelikt«. Mit diesen Hinweisen auf durchaus mögliche Schlupfwege reagierte die Referentin Dr. Herlemann auf die von einem Zuhörer vertretene Meinung, die Bauern im Dritten Reich hätten keine andere Wahl als die widerspruchlose Unterordnung gehabt.

Rheiderland Zeitung 23.03.2002