Bernhard Fokken

Das Rheiderland unter dem Hakenkreuz

(Siebenteilige Serie aus der Rheiderland Zeitung, erschienen im Januar/Februar 1983)

"Ab 1934 wurde jede Aussage gefährlich"

7. Teil (06.02.1983)

Deutsche Christen in Ostfriesland - Widerstand des Pastor Steen

Scharf rechnet Wilhelmine Siefkes mit der Geistlichkeit ab, die sich am 1. Mai am Umzug beteiligt: "Und direkt dahinter (den Primanern) - mir stockte der Herzschlag - da gingen unsere lutherischen Pastoren. Das war zuviel für mich. Für alle anderen konnte ich Verständnis aufbringen: für die Urteilslosen, für die um ihre Stellungen Bangenden, für die die Angst um ihre Familie hatten. Aber daß diese vorgeblichen Hüter des Christentums, die ihres Meisters Lehren anderen predigten, nun hinter solchen 'Sängern' hermarschierten und nicht den Mut aufbrachten, wegzutreten und sich zu distanzieren - das versetzte mir einen Schlag, und ich sagte mir: In diese Kirche gehörst du nicht mehr! Am nächsten Tag ging ich zum Amtsgericht und erklärte meinen Austritt aus der Kirche. Etwas später bin ich dann bei den Mennoniten eingetreten, und das habe ich nie bereut."

Das Verhalten der Leeraner lutherischen Pastoren bringt für Frau Siefkes nur ein Faß zum Überlaufen. Der Auricher Pastor Meyer, ein NS-Agitator, hat ihr bereits einen "diffamierenden Brief" geschrieben und sie auch in der Presse angegriffen, weil sie seine Behauptung, es gebe keine Klassenunterschiede mehr, widerlegt habe.

Wilhelmine Siefkes verachtet die Deutschen Christen, die mit vollen Segeln auf NS-Kurs fahren. Erst viel später hört sie von der Bekennenden Kirche, von tapferen Männern wie Niemöller, Bonhoefer.

Widerstand gegen das Regime leistet der reformierte Pastor Hermann Steen in Holthusen. Solche Männer sind es, die es der Kirche später erlauben, sich selbst wieder in die Augen zu schauen. Ihrer Schuld ist sie sich heute jedoch bewußt, wie hervorgeht aus dem Buch "Die Evangelisch-reformierte Kirche in Nordwestdeutschland".

In seinen "Erinnerungen an den Kirchenkampf" schildert Pastor Hermann Steen, Schriftführer der Bekenntnisgemeinschaft, politisch zum Christlich-sozialen Volksdienst zählend, seine Arbeit in Holthusen als Pfarrer und darüber hinaus als Schriftführer der Bekenntnisgemeinschaft.

Seine politische Aufklärungsarbeit muß er bald einstellen. "Ab 1934 wurde jede Aussage gefährlich. Das war auch bei den Predigten so; Sätze, die durchaus religiös gemeint waren, wurden politisch ausgelegt, um uns einen Strick daraus zu drehen". Steen muß Haussuchungen über sich ergehen lassen.

Offiziell steht er allein. "Die Kirche als Institution bot keinen Schutz mehr. In der Deutschen Evangelischen Kirche - so lautete damals der Name - waren Deutsche Christen in die wichtigsten Stellen gesetzt worden... Weil unser Landeskirchenrat sich bei aller Rechtgläubigkeit an die Entwicklung anpaßte, haben wir 1934 in unserer Landeskirche die Bekenntnisgemeinschaft gegründet. Dazu gehörte ich als Schriftführer". Aus diesen Bekenntnisgemeinschaften einzelner Landeskirchen entwickelte sich die Bekennende Kirche.

Steen bringt die Rundbriefe der Gemeinschaft auf den Weg, richtet einen Austauschdienst mit Nachrichten aus Berlin und aus anderen Kirchen Deutschlands ein.

Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) riecht Lunte. "Ab und zu saß auf unserer Hauptpoststelle in Weener ein Mann von der Geheimen Staatspolizei. Einmal prüfte er sechs Wochen lang alle Zuschriften und suchte heraus, was ihm gefährlich erschien. Und er fand auch dies und das.

Aber das wesentliche fand er nicht, denn das Schöne war, daß die Beamten auf dem Postamt meine Freunde und im Bilde waren. So kam es vor, daß ein Postbote an der Tür des Pfarrhauses stand und die für mich bestimmten Briefe aus einer besonderen verborgenen Tasche holte und auf meine Frage, warum er das so mache, sagte: "Ihre Sachen fangen wir gleich am Zug ab, die gehen gar nicht über das Postamt. Nur Drucksachen und Bücherempfehlungen lassen wir durchgehen, die kann der Mann dort ruhig kontrollieren, alles andere bekommen Sie direkt von uns".

Zehnmal muß Hermann Steen Haussuchungen und Verhöre über sich ergehen lassen. Verhöre, weil Predigten politisch gegen ihn ausgelegt werden. 1938 kommt es zu einem Verfahren gegen ihn wegen einer Gebetsliturgie der Bekennenden Kirche, die im wesentlichen eine Bitte um Frieden darstellt. Steen nimmt an der diese Liturgie ausarbeitenden Konferenz in Berlin teil.

Die Liturgie dient der NS-Presse als Anlaß die Mitglieder der Bekennenden Kirche als Volksverräter anzuprangern. Der Reichskirchenminister weist das reformierte Landeskirchenamt an, Steen das Geld zu sperren. Dieser erfährt dann die Solidarität von Bekannten und Kollegen, die ihm mit Geld, Lebensmitteln und Kleidern über die Runden helfen.

Steen erlebt das Dritte Reich als schlimme Zeit: "Man muß es selbst erlebt haben, wie wirksam der Terror ist und wie schnell den Leuten der Mund verschlossen wird, wenn es gefährlich wird, etwas zu sagen".

Es ist nicht einfach der Bevölkerung den wahren Charakter des Nationalsozialismus nahezubringen: "Der Nationalsozialismus war am Anfang nicht ganz durchschaubar. Nicht jeder konnte sehen, wo eigentlich alles hinging". Hermann Steen  hingegen gehört zu den wenigen, die "sehr frühzeitig Adolf Hitlers 'Mein Kampf' und Alfred Rosenbergs 'Der Mythos des 20. Jahrhunderts' gelesen haben.

Diese tieferen Hintergründe, so Steen, "mußte man schon kennen, um das Ganze zu durchschauen". Er bestätigt, was Zeitzeugen immer wieder sagen und die Nachkriegsgeneration kaum nachzuempfinden weiß: Ein großer Teil der Bevölkerung leidet Hunger, hat keine Arbeit, ist die dauernden Regierungskrisen in Berlin gründlich leid. Hinzu kommt der Anfangserfolg Hitlers.

Steen: "Es gelang Hitler tatsächlich bald, den Menschen Arbeit und Brot zu geben. Keiner war mehr arbeitslos. Jeder hatte Verdienst und jeder Brot. Man kann deshalb eigentlich den Leuten keinen Vorwurf machen, daß sie da mitgezogen sind; das könnte jederzeit wieder geschehen".

Und dann die Terror-Spirale. Der Weg zurück ist verbaut, erst der Zweite Weltkrieg mit seinen unermeßlichen Schrecken bereitet der Diktatur ein Ende. "Die kleinen Bauern und Arbeiter in Holthusen merkten allmählich, daß die Sache nicht in Ordnung war. Sie rückten innerlich davon ab. Aber es war gefährlich, das vor anderen zuzugeben, es war kaum möglich; dazu gehörte schon besonderer Mut", sagt Steen, der vor wenigen Jahren gestorben ist.

Die Deutschen Christen führt in Ostfriesland der kaum 30jährige Probst und Generalsuperintendent Meyer, Aurich. "Er ist ein Freund und Kampfgenosse des Borkumer Helden Münchemeyer. Diesem Kollegen steht er auch in seinen Charaktereigenschaften nicht nach. Der unbestreitbare Erfolg Meyers, die Kirche in zwei haßgetrennte Lager hineinregiert zu haben, ist soweit gediehen, daß sich die Kirchenaustritte häufen und der Haß ungeahnte Formen annimmt", heißt es bitter-ironisch in den "Deutschland-Berichten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1934 - 1940".

Aus diesen im Untergrund verbreiteten Berichten eine Notiz: "Über vielen Ärger vergißt der jugendliche Streiter (Meyer), daß in der Kirche des Dorfes Bagband am Sonntag nur der Pfarrer der Deutschen Christen, sein Freund und der Gendarm des Ortes zusammensitzen, und mehr Lust zu einer Skatrunde besitzen, als zum Gottesdienst, zu gleicher Zeit, da die Scheune eines Bauern im gleichen Dorf die Besucher einer Feierstunde der Bekenntniskirche nicht zu fassen vermag. In zwei ostfriesischen Orten fanden Notgottesdienste der Bekenntniskirche in überfüllten Kirchen statt. In einem Fall gebrauchte der Prediger die Wendung 'In Deutschland regiert der Antichrist', in einem anderen Fall die Worte 'In Deutschland regiert der Geist des Satans'".