Bernhard Fokken
Das Rheiderland unter dem Hakenkreuz
(Siebenteilige Serie aus der Rheiderland Zeitung erschienen im Januar/Februar 1983)
Der Terror - Verhaftungen - Geschmückte Straßen
Teil 3 (02.02.1983)
Auch bei den Kommunalwahlen setzt sich die NSDAP klar durch.
Haussuchungen bei politisch mißliebigen Bürgern sind an der Tagesordnung, schaffen ein miese Klima im Städtchen. Am 9. März sieht sich die Rheiderland-Zeitung zu einer Klarstellung im Zusammenhang mit Haussuchungen veranlaßt, an denen sich die "unsinnigsten Gerüchte" ranken. Es seien "weder belastendes Material oder gar Waffen oder sogenannte schwarze Listen gefunden" worden: "Es ist unbedingt zu verwerfen, daß in diesem Zusammenhang Namen angesehener Bürger genannt werden, bei denen angeblich belastendes Material gefunden sein soll".
Denunziationen sind nicht selten. Es ist der tägliche Faschismus, der manchem Bürger das Leben schwer erträglich macht. "Mehrere Bürger von Stapelmoor und Heide " schwärzen in einem Leserbrief einige Bewohner ihrer Dörfer an, die sich an einem "Volksumzug" nicht beteiligt hätten.: "Von den Beamten und der Lehrerschaft waren sich nur ein Schullehrer und ein Zollbeamter der Bedeutung des Tages, dem der Umzug galt, bewußt. Pflicht eines jeden Deutschen ist es, in diesem Sinne in Wort und Tat mit beizutragen".
Eine Woche nach der Reichstagswahl ist das Volk erneut zum Urnengang gerufen. Am 12. März werden die Gemeinderäte und Kreistage neu gewählt, sinnigerweise am Volkstrauertag. In Weenermoor gedenkt auch der Reichsbanner (SPD, Zentrum, Linksliberale) der Toten der Kriege und legt einen Kranz am Denkmal nieder. Am nächsten Morgen fehlen die schwarz-rot-goldenen Schärpen.
Der Wahlkampf in der Woche zwischen den Wahlterminen verläuft heftig. Die Nazis gewinnen immer mehr Oberwasser und glauben fest an einen erneuten Sieg. Damit liegen sie richtig, denn als am Abend des 12. März die Stimmen ausgezählt werden, dominieren in den Räten die Braunhemden. Selbst ein erbitterter Streit zwischen NSDAP und Nationalen schmälert den Erfolg nicht.
Der aus Süddeutschland kommende Studienassessor Dr. Wilhelm Glock, NS-Führer in Weener, stößt in den eigenen Reihen und bei den übrigen national-konservativen Kommunalpolitikern auf Widerstand. Es kommt nicht zur gewünschten Nationalen Einheitsliste einschließlich NSDAP, sondern die Nazis bilden eine eigene Liste mit Glock an der Spitze, gefolgt von Maurermeister Friedrich Pauk, Kaufmann Bruno Vorreiter und Landwirt Wilhelm Groen.
Die NS-Ortsgruppe Weener umgarnt auch die Kreishandwerkerschaft Weener, deren Ortsgruppe Weener am 18. Februar mit der NSDAP tagt, ihr aber einen Korb gibt. Die Handwerker entscheiden sich gegen die NS-Liste, aber für die Nationale Einheit, zu der Handwerker zu benennen sind. Vorgeschlagen sind Bauunternehmer Bernhard Dreesmann, Steinsetzermeister Christoph Kleefmann und Bäckerobermeister Johann Janßen. Letzterer lehnt ab.
Zur Nationalen Einheit gehören schließlich die Kampffront Schwarz-weiß-rot, die Deutsche Volkspartei, der Christlich-Soziale Volksdienst, die Handwerkerorganisation, die Kaufmannschaft, die Beamtenschaft, die Nationale Arbeiter- und Angestelltenschaft und die evangelische Schulgemeinde. Platz 1 nimmt Rechtsanwalt Dr. Wübbo van Lesssen ein, vor Bauunternehmer Bernhard Dreesmann, Oberzollsekretär Grießer, Seilermeister Hinderk Baumann und Kaufmann H. Ekhoff.
Eine "Kampfliste für kommunale Sparsamkeit", der auch - ebenso wie der Nationalen Einheit - mit der NS-Ortsgruppenführung nicht einverstandene Nationalsozialisten angehören, bewirbt sich außerdem um Mandate. Spitzenkandidat ist Landwirt Klaas Buisenga, vor Kanzleisekretär Albert Busemann, Tischlermeister Heinrich Suhlmann, Tierarzt Heilko Buseman.
Auf der Liste der KPD stehen oben Arbeiter Theodor Thormählen, Arbeiter Johann Niemeyer, Tischler Wübbo Sielmann und Arbeiter Karl Lübbering.
Die SPD vertraut auf Desinfektor Hermann Schoormann, Zimmerer Hinderikus Schipper, Bauarbeiter Johannes Slötel und Postschaffner Gerhard Bonte.
Deutlich (und vielsagend) die Sprache der NSDAP im Wahlkampf. Eine Anzeige vom 4. März: "Wen soll man mit der Hundepeitsche aus Deutschland jagen? Die Totengräber des Deutschen Reiches und Arbeiterverräter oder den Freiheitskämpfer, der diese Banditen entlarvt hat? Überlege Dir wohl, deutscher Arbeiter".
Auch Vorsitzer Dr. Bruns vom Kreiskriegerverband Weener läßt in einer Annonce keinen Zweifel an seiner Gesinnung: "Ich kann nur denjenigen als Kameraden achte, der in dieser Schicksalsstunde unseres vom politischen Verbrechertum schwer bedrohten Volkes seine vaterländische Pflicht erfüllt und unsere nationale Regierung stärken hilft".
Wenige Tage, nachdem sich Mittelschulrektor Martin Stellmann öffentlich für die Regierung Hitler-Papen ausgesprochen und das Soziale an der NSDAP gewürdigt hatte, bekommen er und Rechtsanwalt van Lessen eine Kostprobe davon, wie die Nazis mit Leuten umgehen, die auch nur schwache Kritik anmelden. Studienassessor Dr. Glock und Diplom-Turn- und Sportlehrer Alex Grae ziehen während einer stürmischen NS-Versammlung am 10. März bei Plaatje alle Register ihres demagogischen Könnens. Stellmann und van Lessen können sich als Diskutanten kaum Gehör verschaffen, werden niedergebrüllt und ausgelacht. Stellmann bringt noch vor, daß er sich über diesen Stil wundert, ehe er mit van Lessen den Saal verläßt.
Das Wahlergebnis zwei Tage danach in Weener: NSDAP 5 Mandate, Nationale Einheit 4, SPD, KPD und Kampfliste Buisenga je 1. Vorher: 8 bürgerliche Mandate, 4 der Linken.
Bunde: NSDAP 8, SPD 4, KPD 1, Schwarz-weiß-rot 5.
Holthusen: NSDAP 6, SPD 5
Kreistag: NSDAP 15, SPD 6, KPD 1, Schwarz-weiß-rot 2, Sonstige mit wenigen Mandaten. Absolute Mehrheit für die Nazis.
Das Fußvolk der Nazis feiert den Sieg mit Umzügen, "deutschen Abenden" und Kundgebungen, während die Machthaber rücksichtslos und sehr schnell wahrmachen, was sie seit Jahren ankündigen. Nachdem sie am 4. Februar schon die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt und am Tag nach dem Reichstagsbrand, am 28. Februar den Ausnahmezustand verhängt haben, folgt am 16. März die Verordnung zur Durchführung der Verordnung zum Schutze von Volk und Staat: Ohne richterliche Kontrolle kann die Polizei verhaften, Staatsorgane können Grundrechte eigenmächtig außer Kraft setzen.
Noch am selben Tag nimmt die Polizei in Weener führende Mitglieder der hiesigen Kommunistischen Partei in Haft. Der Bund Königin Luise in Bunde indessen feiert den "Wahlsieg des nationalen Deutschlands".
Das Schöffengericht Emden verurteilt bereits am 17. März in einem "politischen Schnellverfahren" den Arbeiter U. aus Weener zu drei Monaten Gefängnis, weil er Flugblätter der KP empfangen und weitergeleitet hatte. Der Staatsanwalt hatte neun Monate gefordert.
Am 18. März feiert die NS-Ortsgruppe Weenermoor bei Eckhoff in Möhlenwarf einen "Deutschen Abend". Am Abend vorher nimmt die Polizei wenige Kilometer entfernt drei Vertrauensmänner der KP in Bunde in Schutzhaft. Ein vierter Bunder wird in Augustfehn festgenommen. Die NSDAP zieht derweil mit Fackeln von Bunderhee nach Bunde.
"Brüder in Ketten" heißt ein Theaterstück anläßlich eines "Deutschen Abends" in der Gaststätte Bruhns in Ditzum. Der Stahlhelm, die Ortsgruppe Ditzum des Bundes deutscher Frauen und des Bundes Königin Luise laden ein. Der Stahlhelm, der Männerturnverein und der Kriegerverein marschieren durch den Fischerort, allen voran die Kriegervereinskapelle Ditzumerverlaat. Später im Saal trägt SA-Führer Sonnenberg, Pogum, vor, was er über "Auslandsdeutschtum, Not und Kampf" denkt.
Am 20. März gründet die SA in Holthuserheide eine Ortsgruppe, in Leer referiert die Dichterin Maria Kahle über "Deutscher Volkstumskampf drinnen und draußen". Der Stahlhelm in Leer hält eine Wehrsportübung ab, das SPD-Jugendheim wird polizeilich durchsucht, in der Chemischen Fabrik Connemann streiken 14 von 25 Arbeitern wegen Lohndifferenzen.
"Was wird aus den marxistischen Beamten?" fragt der Gauleiter der NS-Beamtenabteilung, I. Janssen aus Bremen, am 19. März während einer NS-Beamtenversammlung bei Alfken in Weener. Die Frage ist lediglich rhetorischer Art. Was mit ihnen passiert, ist klar: Berufsverbot, wenn nicht schlimmeres. Berufs- und Schreibverbot erhält in Leer auch die Lehrerin und Schriftstellerin Wilhelmine Siefkes, in Weener wird Lehrer Menno Borchers, ein Sozialdemokrat, zunächst nach Nendorp strafversetzt, dann nach einem Jahr aus dem Dienst entfernt.
In seinen "Beiträgen zur Heimatchronik" der Stadt Weener notiert Dr. Aeilt Fr. Risius: "Sozialisten und Kommunisten wurden auf das Schärfste verfolgt, in Schutzhaft genommen, ins Gefängnis eingeliefert. Der Maurerpolier Eggerk Poll aus Weener wurde auf Grund einer Äußerung denunziert und in das Gefängnis nach Hannover überführt. Der Stadtverordnete Bonk starb im Konzentrationslager".
Der größte Teil der Bevölkerung steht jedoch zu den Nazis, jubelt ihnen zu. "Es gibt keinen Halt mehr, sie wurden von dem Strom mitgerissen", steht der 86jährige Jan Ahlers (Pseudonym) heute fassungslos dem Geschehen gegenüber. "Da waren plötzlich Menschen bereit, andere tozuschlagen".
"Sonst ganz unpolitische Menschen entdecken auf einmal ihr Nazi-Herz, weil sie merkten, daß sie damit am sichersten durch die Zeit kamen. Schon ein unvorsichtiges Wort konnte für den, der es äußerte, zur Katastrophe werden", schildert Wilhelmine Siefkes den weitverbreiteten Hang zum Opportunismus, aber auch die Gefahr, in der jeder schwebte.
"Das Gesindel, das Morgenluft wittert, drängt nach oben", schreibt die Schriftstellerin, der "nicht in den Sinn will, daß auch das anständige Bürgertum diesen Gesellen auf den Leim ging".
Sie durchschaut das System der Nazis: "Man wußte vor allem den Spießbürger an seiner schwachen Stelle zu packen: Wer wollte nicht gern eine öffentliche Rolle spielen? So schuf man Ämter, Uniformen, Orden und Ehrenzeichen, vom Haus- und Blockwart angefangen bis zu den Formationen der HJ, SA, SS. Man kam damit dem Geltungsbedürfnis der Menschen entgegen und konnte zugleich Kontrolle ausüben, wo immer man wollte. Es war ein raffiniert erklügeltes System, das der harmlose "Volksgenosse" nicht durchschaute".
Dann der 21. März: Hitler ruft dieses Datum zum Nationalen Feiertag aus. Der Reichstag wird eröffnet. Das Volk ist über Rundfunk in der Krolloper in Berlin dabei. Die Reden Hitlers und Hindenburgs werden in den Gaststätten aller Orte übertragen.
Öffentliche Gebäude und viele Privathäuser prunken in Fahnenschmuck. In Weener findet ein Fackelzug statt. Teilnehmer: Volks-, Mittel- und Berufsschule, Jugendturner, Sportverein Union, Kyffhäuser, Hitler-Jugend, Jugendgruppe des Vaterländischen Frauenvereins, Evangelischer Jünglingsverein, Kriegerverein, SA, Stahlhelm, Gesangvereine Harmonie, Immergrün und Fortuna, Freiwillige Feuerwehr, Sanitätskolonne, Turnverein, Wassersportverein, Kriegsbeschädigtenverband, Evangelischer Arbeiterverein, Bund der Zivildienstberechtigten, Vaterländischer Frauenverein, Bund Königin Luise. Auch die Kleinen der Kinderbewahranstalt laufen mit. Behörden und zahlreiche Privatbetriebe haben dienstfrei.
Erstmals sind die Volks-, Mittel- und Katholische Schule vereint zu einer Vaterländischen Schulfeier im "Weinberg". Rektor Martin Stellmann weist auf die Bedeutung des "Tages des erwachenden Deutschlands" hin. Anschließend hören die Kinder die Reden Hitlers und Hindenburgs, ehe sie das Lied singen "Ich habe mich ergeben, mit Herz und mit Hand, Dir Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland". Auf dem Platz vor der "Memmingaburg" hält Bürgermeister Werner eine markige patriotische Ansprache. Weitere Feiern und Umzüge finden in Bunde, Stapelmoor, Tichelwarf, Möhlenwarf, Jemgum, Ditzumerverlaat und Bingum statt.
Ein kleiner Gegensteuerungsversuch in Bingum: Der evangelische Mäner- und Jünglingsverein bittet zu einem Familienabend im Gasthof Schröder. Die Rheiderland-Zeitung schreibt: "Man merkte doch, daß ein christlicher Verein noch etwas bedeutet in der Gemeinde".
Jeden Donnerstag, so meldet das Blatt weiter, fährt jetzt ein Sammeltransport politischer Häftlinge in ein Konzentrationslager, erstmals am 23. März ein Transport mit 24 Personen, vorwiegend Kommunisten, aus Ostfriesland. Sie waren vorher in Schutzhaft genommen worden.
Am 24. März wird ein Kommunist aus Weener, der hier seine Zelle in Brand gesteckt hat, in das Amtsgerichts-Gefängnis Leer eingeliefert. Er wird bald entlassen, aber am Tor nimmt ihn die Polizei erneut in Haft.
Am 23. März eröffnet Otto Wels für die SPD vor dem Reichstag in der Krolloper in Berlin die Aussprache über das Ermächtigungsgesetz: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, aber die Ehre nicht". Es bleibt bis nach dem Zweiten Weltkrieg die letzte Rede eines demokratischen Parlamentariers in Deutschland.
Wie angekündigt, hat das Regime fast über Nacht Konzentrationslager (KZ) errichtet. Das geschieht keineswegs heimlich. Am 24. März erscheinen zwei Fotos in der Zeitung mit der Überschrift "Die ersten Bilder aus dem KZ in Dachau und Schloß Hohnstein".
Während die Industrie- und Handelskammer Vorträge über Luftschutz ankündigt und die ersten Luftschutzübung als frühe Kriegsvorbereitung bereits am 26. und 27. April stattfindet, lösen sich die Reichsbanner- und Eiserne-Front-Verbände der SPD in Weener, Holthusen und Bunderhee auf. Sie kommen einem Verbot zuvor.
Mach einer wechselt auch die Fahne: "Dem Vernehmen nach hat sich ein hiesiges Mitglied des Reichsbanners zur Aufnahme bei der NSDAP gemeldet. Wie man hört, sollen noch weitere Übertritte bevorstehen, meldet die Rheiderland-Zeitung am 25. März aus Holthusen.