Die „Kristallnacht" in Weener
Am 8. November 1938 lud die NSDAP-Ortsgruppe Weener zu einer Feierstunde in den Saal des Hotels „Zum Weinberg" ein. Zu Ehren der gefallenen Kämpfer der NSDAP sollte am 9. November eine Gedenkfeier veranstaltet werden. Auch die Kriegerkameradschaft Weener marschierte geschlossen als Formation zum Veranstaltungsort. In den umliegenden Ortsteilen fanden, wie im ganzen Rheiderland, Gedenkveranstaltungen statt. Erscheinen war „Pflicht für alle Pg's und angeschlossene Verbandsmitglieder".
Am nächsten Tag, dem 9. November, flaggten alle staatlichen und kommunalen Verwaltungen sowie die öffentlichen Schulen im ganzen Reich Vollmast. Die Bevölkerung hatte Fahnen aus den Fenstern hängen und war damit der Aufforderung zur Beflaggung gefolgt. In der Heimatzeitung wurde erneut auf die am Abend stattfindende Veranstaltung hingewiesen.
Auf der Volksschule in Weener wehte seit frühmorgens die Hakenkreuzfahne. Um acht Uhr waren die Schüler zu einer Flaggenparade angetreten, um in der anschließenden Feierstunde „der Blutzeugen des 9. November 1923 zu gedenken". Ein umfangreiches, sorgfältig aufeinander abgestimmtes Programm betrieb die Heroisierung der ersten NSDAP-Kämpfer. In Erinnerung an die Toten des Hitlerputsches von 1923 in München brachte ein Sprecher nach dem gemeinsam gesungenen Eingangslied „Nichts kann uns rauben" zum Ausdruck, „dass erst dann die Ruhe der Toten der Bewegung gesichert ist, wenn sie ihre Söhne fest und gläubig in der Tat wissen". Da die Toten der Bewegung „den Opferweg gegangen sind für Deutschlands Größe und Un- sterblichkeit, soll deshalb auch für uns das leuchtende Fanal 'Deutschland' stehen". Anschließend wurde das Lied „Eine Trommel geht durch Deutschland" gesungen. Danach wurden die Namen der Gefallenen vom 9. November 1923 verlesen und durch Worte aus der Edda wurde der Tatenruhm der Toten herausgestellt. Die Feier endete mit dem Deutschland- und dem Horst-Wessel-Lied.
Im „Hotel zum Weinberg" fand am Abend des 9. November ein Parteiabend der NSDAP statt. „Ewig bleibt der Toten Tatenruhm" berichtete die „Rheiderland"-Zeitung am nächsten Tag über diese Veranstaltung. Im vollbesetzten Saal waren alle Gliederungen der Partei, die angeschlossenen Verbände und die Ortsgruppe der NSDAP vertreten. Selbst Jungvolk, Hitlerjugend und BDM waren anwesend bis zum Schluss gegen 22.30 Uhr. Etwa 150 Teilnehmer füllten den Saal, und nach Aussagen einer Teilnehmerin „war es anders als sonst". In feierlicher Form wurde die Versammlung eröffnet durch Fahneneinmarsch, den Fahnenspruch „fallen müssen viele", anschließend Musik und Vortrag von Kernsprüchen von SA, HJ, DJ und JM. Nach Verlesung des Heeresberichtes der Schlacht von Langemark (1917) erfolgte die Überleitung zu der Lesung „Die Toten des 9. November". Nun folgte die Totenehrung durch Fahnensenken und Erheben der Anwesenden. SA-Obersturmbannführer Lahmeyer verlas unter dumpfem Trommelwirbel die Namen der 16 Toten, der sog. „Blutzeugen". Im Anschluss daran gab es ein stilles Gedenken unter Einbeziehung der verlesenen Namen der aus dem Gau Weser-Ems Gefallenen „im Kampf um Deutschlands Freiheit".
Dann hielt „Pg." Körte eine Rede, der sich ein von einem SA-Mann gesprochene Gedicht „Und ihr habt doch gesiegt" anschloss. Gegen Ende der Veranstaltung kam auch die Sprache auf das Attentat und den Tod des deutschen Botschaftsangehörigen. Dabei wurde „des von feiger jüdischer Mörderhand niedergestreckten Gesandschaftsrates vom Rath in ehrender Weise gedacht".
Nach einem gemeinsamen Lied von SA, BDM und Landjahr mit dem Titel „Auf, hebt unsere Fahnen", folgte erneut ein Fahnenspruch und der Hitlergruß. Das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied beendeten diese Veranstaltung. Während des Gedenkens und der Information über die Vorgänge und Folgen des Attentats wurden auch Maßnahmen für die jüdische Bevölkerung angedroht. Diese wurden jedoch „mehr allgemein ausgesprochen, ein konkretes Objekt wurde nicht genannt". Anti-jüdische Stimmung herrschte gegen Ende der Veranstaltung.
Die folgenden Aussagen über die sich in der Nacht danach ereignende „Kristallnacht" in Weener basieren auf zahlreichen Gesprächen mit mehreren Zeit- bzw. Augenzeugen und dem vorhandenen Quellenmaterial. In den letzten Jahren ist die Bereitschaft der älteren Bürger, über die Ereignisse der Vergangenheit zu reden, wesentlich größer geworden. Soweit es die Aktenlage zuließ, habe ich versucht, durch Interviews und die mir zugänglichen Quellen die Einzelheiten über den Verlauf dieser Nacht zusammenzutragen.
In der Nacht vom 9. zum 10. November wurde der in Weener stationierte Polizeihauptwachtmeister J. Verlaat von der SA-Standarte Leer telefonisch darüber informiert, dass die Synagoge in Weener in Brand gesetzt werden würde. Der Standartenführer Meyer aus Leer erschien kurz darauf und veranlasste die Brandstiftung. Meyer hatte in Leer noch gegen 2.30 Uhr im Rathaus Gespräche mit dem Bürgermeister Drescher geführt und war anschließend mit dem Pkw nach Weener gefahren. Der Führer der SA-Gruppe Weener, Sturmbannführer Lahmeyer, wurde anschließend von Meyer geweckt und von ihm über die beabsichtigte Brandstiftung in Kenntnis gesetzt. Danach erfolgte durch Boten und telefonische Benachrichtigung die Alarmierung weiterer SA-Mitglieder. Um sicherzustellen, dass die Brandstiftung völlig gelang, bestellte Sturmbannführer Lahmeyer telefonisch bei einer in der Hindenburgstraße gelegenen Tankstelle die Lieferung von Benzin. Die Täter holten die angeforderte Menge ab und drangen dann über seitliche Nebenwege durch die Fenster an der Nordseite in die Synagoge ein. Nun wurden die leicht brennbaren Materialien in Brand gesetzt. Eine große Stichflamme stand plötzlich über dem Haus und die ganze Straße wurde dadurch erleuchtet.
Augenzeugen berichten, dass von verschiedenen Feuerwehrmitgliedern an mehreren Stellen das Brandhorn geblasen wurde, und zwar in der Hindenburgstraße und an zwei Stellen in der Süderstraße. Im Rahmen einer Meldekette erfolgte wie üblich die Alarmierung bei Bränden. Bevor das Brandhorn an der Ecke Haagstraße/Hindenburgstraße geblasen wurde, standen die Anwohner schon draußen und sahen die in Flammen stehende Synagoge. Das Dach war bereits halb zerstört und das Feuer brannte kräftig im unteren und oberen Teil.
Durch Einsatz der Motorspritze wurden die westlich und östlich gelegenen Nebengebäude (Scheune Züchner und Werkstatt Donker) gegen ein Übergreifen des Feuers geschützt, indem die Außenwände und Dächer unter Wasser gehalten wurden.
Das Scheunendach war mit Strohdocken und Dachziegeln bedeckt und durch die enorme Hitze und Funkenflug bestand Gefahr, daß die Strohdocken sich entzündeten, weshalb das Dach der Scheune ständig unter Wasser gehalten wurde. Eine intensive Brandbekämpfung bei der Synagoge erfolgte nicht. Sie brannte bis auf die Grundmauern nieder.
Die westlich und östlich gelegenen Nebengebäude wurden nicht vom Brand erfaßt, obwohl sie nur ca. 3 Meter vom Brandort entfernt standen. Die nach Süden hin gelegene ehemalige jüdische Schule wurde dagegen in Mitleidenschaft gezogen, und zwar an der Dachseite. Während des Brandes hatten Mitglieder der SA-Ortsgruppe die Straße gesperrt und Sicherungsaufgaben übernommen. Viele Nachbarn schauten sich schweigend die Vorgänge an. Bei der Post versammelte sich eine größere Anzahl von Menschen. Viele Mitglieder der SA waren in Uniform anwesend. Am stärksten war die Altersgruppe von 25-35 Jahren vertreten. Noch am Nachmittag standen SA-Leute Wache bei den Trümmern der Synagoge.
Am 11. November meldete Hauptbrandmeister C. Meyer von der Freiwilligen Feuerwehr Weener dem Kreisfeuerwehrführer Siefkens in Filsum als Brandmeldung Nr. 2 des Jahres 1938 den Brand der Synagoge in Weener (s. Abb. 3). Als Stunde des Schadenfeuers wurde 4.30 Uhr angegeben und unter der Rubrik „Nähere Bezeichnung des Brandobjektes" wurde Synagoge eingetragen. Der Brand wurde als Großfeuer klassifiziert. Die anderen Spalten in der vorgedruckten Brandmeldungskarte mit Angaben zur Rettung von Menschen, Vieh und Mobilar bzw. über Schäden. wurden durch einen Strich entwertet. Die Spalte „Wodurch ist das Schadenfeuer entstanden" blieb unausgefüllt.
Es ehrt nachträglich den Berichterstatter, dass er diese Spalte nicht ausgefüllt oder durch einen Querstrich entwertet hat, da jedermann wusste, wodurch das Feuer entstanden war. Üblich war es damals, diese Meldungen als Postkarte zu versenden. Inwieweit auch die Originalmeldung per Post verschickt wurde, konnte aus den Quellen nicht mehr ersehen werden. Als Kopie für die eigenen Unterlagen erfolgte dann die Eintragung wie beschrieben. Vielleicht erfolgte auch die Brandmeldung telefonisch an den Kreisfeuerwehrführer, da dieser und der Brandmeister aufgrund gesetzlicher Anforderungen jeder Zeit erreichbar sein mußten.