Zur Geschichte der Juden in Bunde

von Harm Wiemann (aus der Bunder Chronik)

Die älteste Erwähnung eines in Bunde ansässigen Juden stammt aus dem 18. Jahrhundert. In einem Schatzungs- (= Steuer)register vom Jahre 1786/87 wird ein Nathan Isaak als Schlachter aufgeführt.

Dann erfahren wir erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts, dass sich in der Zwischenzeit mehr Juden niedergelassen haben und eine Kollekte zum Bau einer Schule und einer Synagoge von den Mitgliedern der Gemeinde beantragt wird. Das Amt Jemgum befürwortet die Sammlung in einem Bericht an die Landdrostei vom 19. April 1845 nicht. Der Amtmann bezweifelt, ob die Zahl der in Bunde wohnenden Juden den Bau unterhalten könne. In Jemgum wurde mit ansehnlicher Beihife des großen Rothschild eine Synagoge erbaut, die kurze Zeit nach der Erbauung wegen Mangel an Mitteln der Gemeinde versteigert werden musste. Bei der Versteigerung kauften die Jemgumer Juden sie zurück. Das vorgeschriebene Ritual kann aber nur mit Hilfe von auswärtigen Juden erfüllt werden.

Das Amt befürchtet, dass die Gemeinde mit dem Bau der Synagoge dasselbe Schicksal erleiden kann wie die in Jemgum. Das Bedürfnis, eine Synagoge zu errichten, muss besser nachgewiesen werden, daher kann die Kollekte nicht genehmigt werden. Die Landdrostei Aurich lehnte am 30. April 1845 ab.

Der Gründer der Gemeinde war Abraham Halevy, wie aus der Inschrift seines Grabsteines auf dem Friedhof in Neuschanz hervorgeht:

Hier ruht ein rechtschaffener und beliebter Mann, fürwahr gepriesen von jedem, Hirte seiner Gemeinde in Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit, ihn priesen die Menschen seines Volkes, die obersten ehrten ihn, sein Andenken soll kein Ende nehmen bis in die fernsten Geschlechter, er gab von seinem Brot an die Armen und Schwachen, er ließ fest anbringen die Tür der Synagoge und legte den Stein für ihr Fundament, das Haupt der Gemeinde und Leiter in der Gemeinschaft Bunde, der Herr Abraham, Sohn des Herrn Josef Halevi, der starb am Mittwoch 20 Sivon und wurde begraben am Vorabend des Sabbats am 22sten des Monats, 622 (1862 Juni 18).

Zahl der Juden und ihr Gewerbe

Im Jahre 1824 lebten in Bunde 21 Juden. Fünf von ihnen betrieben ein Gewerbe. Im Jahre 1830 ersuchte Abraham Watermann darum, neben seiner Schlachterei noch einen Trödelladen zu eröffnen. Die Schlachterei betrieb er seit 1826. Am 29. Oktober 1833 wurde Salomon von Dyk die Niederlassung in Bunde verweigert, da genügend Schlachter und Handelsleute in Bunde vorhanden waren. Am 22. Juni 1838 wurde dem Josef Ries aus Bunde die Erlaubnis erteilt, mit frischem Fleisch Hausierhandel zu betreiben. Seit dem 26. Januar 1815 besaß er die Konzession für Manufakturen und Ellenwaren. Später wurde dieser Handel auf Krüdenierswaren, Manufakturen und Uhren (Horlogies) erweitert. Am 19. März 1839 stellt Abraham Josef Ries den Antrag auf Gewährung einer Konzession zum Handel mit Manufaktur- und Ellenwaren.

Der Schlachter Josef Arend Ries hatte fünf Söhne. Der älteste Sohn war Spediteur in London und lebte seit einigen Jahren in Westindien. Der zweite Sohn Isaac Josef Ries betrieb bereits unter der französischen Regierung den Manufakturhandel und eine Pottasche-Brennerei in Bunde. Er übte beide Gewerbe noch aus. Der dritte Sohn war Kaufmann zu Goes in den Niederlanden. Der vierte Sohn, Samuel Josef Ries, betrieb ein Cafe in London. Der fünfte Sohn lebte als Gehilfe im elterlichen Geschäft in Bunde.

Der Schlachter Salomon van Dyk konnte sich nur schlecht von der Schlachterei ernähren, er bittet am 24. Mai 1841, ihm den Verkauf von Losen zu konzessionieren.

Um 1840 gab es in Bunde vier Schlachter: Josef Ries, Anke Winterboer, Dirk Winterboer, S. van Dyk. Sie können den Bedarf an Fleisch nicht decken, daher bat Abraham Watermann um die Konzession als Schlachter.

Im Jahre 1844 setzen sich 24 Einwohner aus Bunde, Bunderneuland und Bunderhee dafür ein, dass dem Isaac Watermann die Konzession als Schlachter gewährt wird, im Interesse des Publicums.

Im Jahre 1925 trugen sich bei der Volkszählung im gesamten Reiderland 232 von 21410 Einwohnern als Israeliten ein: Weener 149, Bunde 70, Jemgum 9, Stapelmoor 3 und Bunderhammrich 1. Bunde hatte damals 1978 Einwohner. Der Anteil der Juden betrug also 3,5 %.

Synagogen- und Schulinventar

Infolge einer Anfrage der Behörden sind wir über die in der Synagoge und der jüdischen Schule vorhandenen Gegenstände zur Zeit der vorigen Jahrhundertmitte informiert.

Inventarium über die Eigenthums Gegenstände der israelischen Gemeinde zu Bunde.

In gehorsamster Befolgung der verehrlichen amtlichen Verfügung vom 23. Januar 1854, beehre ich mich über unser Kirchen oder Synagoge- und Schulmittel folgendes Verzeichniß zu übergeben:

I.Gegenstände in der KircheR'taler. Silbergr.
1.3 Exemplare von den 5 Büchern Moses auf Pergament 75
2.1 Vorhang vor der Bundeslade, mit goldenen
Namesbuchstaben auf Summt
20
3.1 messingene Gießkanne12
4.4 ordin. Vorhänge vor der Bundeslade10
5.1 silberner Becher3
6.1 silberne Ringdose6
7.1 silberner Zeiger2
8.26 messingene Leuchter12
9.9 messingene Krohnleuchter3
10.1 gläserner3
11.4 Überzüge über den Altar2
12.1 großes Brett mit einer Devise über den
Segen unsers Königs
5
13.Drei kathunen Fenstervorhänge1
14.zwei kleine Bretter8
15.ein hölzerner Leuchter1
16.eine hölzerne Bank1
II.in der Schule
17.1 Schreibtisch5
18.1 Lesetisch2
19.1 Ofen3
20.1 Gestell Bettzeug, bestehend aus einem Ober-
und Unterbette, Phuhl und 2 Kissen
20
21.1 großes Anschreibbrett

Armenmittel sind in unserer Gemeinde nicht vorhanden, vielmehr werden die notwendigen Bedürfnisse durch die beitragspflichtigen Gemeinde Mitglieder nach einer Repartitionsliste (Verteilungsliste) aufgebracht. Rechnung ist der Gemeinde gelegt zuletzt am 28. Juli 1853 und ist darnach Bestand geblieben (in Reichstaler, Silbergroschen und Pfenning); 36 21 2

Bunde, den 20. Februar 1854  gez. J. J. Ries

Die jüdische Schulgemeinde

Aufgrund der Schulordnung vom 1. Februar 1854 bildete die Synagogengemeinde Bunde einen eigenen Schulverband. Es wurde eine vollständig eingerichtete jüdische Elementarschule eingerichtet, in der ein ordnungsmäßig geprüfter Lehrer unterrichtete. Der Lehrer ist zugleich als Vorbeter für die Synagoge anzustellen, das Amt des Schächters soll er nicht ausüben. Den Juden ist es von ihrer Religion her untersagt, Tierblut zu genießen, infolgedessen lassen sie die Tiere beim Schlachten ausbluten. Diesen Vorgang nennt man Schächten. Die Besoldung wurde auf 100 Reichstaler jährlich festgesetzt, sie wurden vierteljährlich ausgezahlt. Alle selbständigen Mitglieder der jüdischen Gemeinde hatten ihn das ganze Jahr hindurch täglich morgens, mittags und abends zu verpflegen.

Abb. 1: Links im Bild ein Teil der 1883 errichteten jüdischen Schule, daneben die Vorderfront der in der Mitte vorigen Jahrhunderts gebauten Synagoge

Die Gemeinde versicherte in einem Schreiben an das Königliche Ministerium des Innern vom 20. August 1855, die schwersten Opfer zu übernehmen und verpflichtete sich, 80 Reichstaler aufzubringen, sie bat allerdings um Beihilfe dazu. Eine Beihilfe von 20 Reichstaler wurde bewilligt.

Am 31. Januar 1883 hatte die Gemeinde ein Grundstück zum Bau einer Lehrerwohnung käuflich erworben, die in demselben Jahre errichtet wurde und neben der Wohnung für den Lehrer ein Schullokal und das rituelle Frauenbad enthielt.

Die Synagogengemeinde in Bunde hatte folgende Lehrer in ihrem Dienst:
1845/46 Lazarus Lilienfeld aus Halberstadt. Er mußte sein Amt zwangsweise aufgeben.
1855 besuchten die wenigen jüdischen Kinder die christliche Volksschule.
1855—1858 Joseph Lichtenfels aus Beckum (Reg. Bez. Münster).
1863—1864Julius M. Mooy aus Groningen.
1882Soberski aus Ostrowo, Provinz Posen.
1883—1884J. Lorch aus Eubigheim (Diensteid).
1894 Heymann Rabbinowitz aus Swilotsch (abgelehnt, tat aber Dienst).
1895—1897Moritz Lachmann aus Schwasanz, Prov. Posen.
1897—1897(1. Okt.) Wolkowski aus Rogowo.
1897—1899 David Lob. 900 M. Gehalt, für Feuerung und Licht 80 M. und freie Wohnung.
1899—1901S. Adler.
1901—1902Vertretung Lehrer Abt in Weener.
1902—1903Isidor Landsberg.
1903—1904Ignatz Israel (Ungar).
1904—1907Amold Seliger aus Pfungstadt (Hessen/Darmstadt).
1907Jankelowitz, er erblindete.
Zahl der Schulkinder:
189411
189714
189817
189916
190013
190113
190214

Im Jahre 1896 wurde die Einrichtung einer öffentlichen jüdischen Schule geplant. Am 7. Dezember 1896 wurde der Antrag dazu mit der Bezeichnung Jüdische Religionsschule eingereicht. Mit der Tätigkeit als Lehrer war der Kultusdienst verbunden.

Abb. 2: Blick in die Kreuzstraße (heute Kirchring) in Richtung auf das Hotel ten Have. Links: Wohn- und Geschäftshaus Dirksen, Bollegraf. Modder, Klaaßens (Kolonialwaren). Rechts: Georg Doesken (Kolonialwaren), Häuser Boelkes, Schipper (Schuhladen), jüdische Schule mit Wohnung des Lehrers, Geschäft Benima (Textilien)

Friedhof der jüdischen Gemeinde

Bis 1874 hat die jüdische Synagogengemeinde ihre Leichen auf dem jüdischen Friedhof in Neuschanz begraben. Die Synagogengemeinde Neuschanz hatte danach die weitere Mitbenutzung verweigert. Daher wollte die Gemeinde Bunde einen Friedhof anlegen. Sie kaufte deshalb ein Grundstück für 210 Reichstaler. Mit den Kosten für die Einfriedung beliefen sich die Gesamtkosten auf 250 Reichstaler. Davon konnte die Gemeinde nur 125 Reichstaler aufbringen, der Rest mußte durch öffentliche Mittel gedeckt werden.

Für eine Grabstelle rechnet man 3 qm, er würde für die 37 Seelen zählende Gemeinde für wenigstens 100 Jahre reichen. Der Flecken Bunde hatte nichts gegen die Anlage einzuwenden. Sie wurde aufgrund des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Juden vom 30. September 1842 genehmigt. Das Grundstück wurde am 25. November 1874 durch Kaufkontrakt erworben.

Abb. 3: Der jüdische Friedhof in Bunde am Leegeweg

Zwei Gedichte eines Bunder Juden

Wie überall im Deutschen Reich brach auch für die Bunder Juden mit dem Jahre 1933 eine furchtbare Leidenszeit an. Manche wanderten aus, andere konnten nicht glauben, was ihnen bevorstand. Viele Juden sind deportiert worden, ihre Spuren verlieren sich in den Konzentrationslagern der Nazis, wo sie auf schreckliche Weise ihr Leben verloren. Nur wenige haben sich vor dem Zugriff der Schergen retten können und leben heute in verschiedenen Staaten dieser Erde. Keiner kehrte nach Bunde zurück.

Geradezu hellseherisch ist es, was der Textilkaufmann Abraham Ries am 30. April 1933 zu Papier brachte. Diese erschütternden Gedichte sind ein Zeitdokument, das in seiner Bedeutung weit über Bunde hinausweist: Mutter Deutschland, willst Du uns verstoßen? ruft Ries aus.

Mutter Deutschland, willst Du uns verstoßen?
Sag, was haben wir getan?
Treffen wollte man die Großen,
Doch uns Kleinen bringt man aus der Bahn.

Körperlich sind wir noch ungebrochen,
Doch an unserer Seele naget bittres Leid;
Dennoch halten wir, was wir versprochen:
Treu und Liebe Dir zu jeder Zeit.

Nichts kann uns von Deutschland trennen,
Und in echter Treue stehen wir zu Dir.
Wahre Liebe kann doch nur aus heißem Herzen brennen,
Blut und Glaube nimmer sind entscheidend hier.

Mutter Deutschland, liebe uns nicht minder!
Grad ein Schmerzenskind verstößt man nie.
Alle Menschen sind doch eines Vaters Kinder,
Und in seinem Ebenbilde schuf er sie.

Bunde, den 30.4.33  A. Ries

Mir ist's ums Herz so bang und schwer,
Ich habe keine Heimat mehr!
Zum Deutschtum soll ich nimmer mich bekennen,
Ich darf mich nicht mehr Deutscher nennen.

Und dennoch lieb ich dieses Land,
In dem schon meine Wiege stand.
Hier rief der Herrgott mich ins Sein,
Hier ruhet der Eltern totes Gebein.

Und ob man ächtet und meidet mich,
Deutsch denke ich und fühle ich.
Wer will mir mein Empfinden rauben?
Ich muß an Deutschlands Zukunft glauben.

Deutschland wird herrlich auferstehn,
Dies Land wird niemals untergehn.
Und steh ich auch weit und breit allein,
Ich kann doch Jude und Deutscher sein.

Bunde, den 30.4.33  A. Ries

Die jüdische Familie Hess

Abbildung 4 zeigt die Kennkarte von Hannchen Hess. Außer dem gelben Stern, den die Juden in allen von den Machthabem des Dritten Reiches beherrschten Gebieten Europas tragen mußten, sollten die Angehörigen der jüdischen Rasse" bei jeder Kontrolle auf ihrer Kennkarte sofort an dem Aufdruck J zu erkennen sein.

Die Familie des früheren jüdischen Mitbürgers, des Schlachters Jakob Hess und seiner Frau Frieda, geb. Aronsohn, wohnte in der Kreuzstraße 35, jetzt Kirchring, in dem Hause, wo sich vor Jahren noch das Teglersche Fahrradgeschäft befand. In den Akten des Rathauses Bunde heißt es in einer Auskunft, die im Jahre 1950 erteilt wurde: Über die Geschicke der Familie Hess ist hier leider nichts bekannt. In einem Schreiben vom 3. Oktober 1961 heißt es: Sie sind am 19.7.1942 aus rassischen Gründen nach Theresienstadt deportiert worden.

Die Familie hatte neun Kinder: Berta, Riebchen, Selma, Hannchen (s. Abb. 4), Henni, Moses, Nanni, Lini, Flora. In einem anderen Schreiben aus dem Jahre 1961:

Noch vor Ausbruch des Krieges sollen Eltern und Kinder in ein KZ gekommen sein, dort wurden sie umgebracht.

Aus anderen Erkundigungen scheint sich zu ergeben, dass nicht alle Kinder der Familie Hess in der Zeit der rassischen Verfolgung umgekommen sind.

Abb. 4: Kennkarte von Hannchen Hess