Auswanderungen als Folge des Pogroms

Die Ereignisse während der Nacht vom 9. zum 10. November öffneten vielen jüdischen Bürgen die Augen über die Absichten und Ziele der NS-Politik. Verstärkt erfolgte in den Wochen und Monaten danach der Umzug innerhalb des Deutschen Reiches in größere Städte wie Bremen oder Hamburg und die Auswanderung vor allem ins benachbarte Holland.

Ihrer wirtschaftlichen Habe beraubt, ausgerüstet mit nur wenig Geld und nur mit dem Nötigsten versehen, verließen noch im Dezember 1938 neun Personen die Stadt:

acht wählten den Weg über die nahe Grenze. Dabei handelte es sich um zwei vollständige Familien mit ihren erwachsenen Kindern. Enge verwandtschaftliche Kontakte ermöglichten hier die Auswanderung nach Holland. Erschwerend für die Auswanderung war zu dieser Zeit die am 19. November 1938 im niederländischen Parlament auf mehrere Anfragen gegebene Antwort, dass die Schließung der Grenzen für jüdische Flüchtlinge beabsichtigt sei. Deshalb wolle man eine Übereinkunft mit anderen Staaten über die Aufnahme jüdischer Emigranten abwarten. Die Reaktionen in der holländischen Öffentlichkeit auf die Ereignisse des Pogroms erleichterten hingegen am Ende doch die Einreise.

Der Bürgermeister von Weener meldete dem Landrat in Leer erst am 1. März 1939 den Abgang der neun Personen. Als Ergänzung zu dem mit Stand vom 15. Dezember 1938 vorgelegten Verzeichnis wurden gemeldet:

Hermann de Vries,geb.27.08.1873,verz. am 15.12.38nach Hannover
Moses Hess,geb.17.10.1861,ausgew. am 15.12.38nach Holland
Amalia Hess,geb.02.07.1860,ausgew. am 15.12.38nach Holland
Theodor Hess,geb.16.11.1899,ausgew. am 15.12.38nach Holland
Josef Pinto,geb.10.12.1871,ausgew. am 26.12.38nach Holland
Ella Pinto,geb.04.07.1882ausgew. am 26.12.38nach Holland
Regina Pinto,geb.19.02.1907,ausgew. am 26.12.38nach Holland
Erich Pinto,geb.17.09.1913,ausgew. am 26.12.38nach Holland
Betty Pinto,geb.28.02.1919,ausgew. am 26.12.38nach Holland

Zu dieser Zeit, Anfang Dezember 1938, wohnten noch mehr als 70 Bürger jüdischen Glaubens in Weener. Zwar war die Synagogengemeinde inzwischen wesentlich kleiner geworden, doch im Vergleich zu ihrer größten Mitgliederzahl im Jahre 1925 blieb immer noch die Hälfte in der vertrauten und angestammten Heimat, trotz aller bisher erlittenen physischen und seelischen Belastungen. Bei manchen jüdischen Familien fehlten aber auch die Voraussetzungen zur Auswanderung, vor allem wirtschaftliche Gründe hinderten sie daran. Deshalb blieb diesen Menschen nichts anderes übrig, als sich in den Schutz der näher und weiter gelegenen Großstädte zu begeben, um dort in der Anonymität der Stadt unterzutauchen.

Die seit Ende November 1938 gültigen Anordnungen über die Wohnbeschränkung und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit engten dann auch in Weener die Lebenssituation der Juden immer mehr ein und führten zu einer Art Gettoisierung, unmittelbar vor der Haustür und im Gesichtsfeld der „arischen" Mitbürger.

Ab Mai 1938 besaßen die Gemeindebehörden bereits die rechtliche Grundlage, die Konzentration jüdischer Familien in „jüdischen Häusern" vorzubereiten. Das „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden" ermöglichte nunmehr, dass „Nichtarier" aus „arischen" Häusern ausgewiesen und in spezielle „Judenhäuser" eingewiesen werden konnten. So konnte der Wohnraum für Alleinstehende oder Familien dadurch beschränkt und eingeengt werden, dass andere jüdische Familien zusätzlich in diesem Haus untergebracht wurden. Diese hatten zuvor ihren eigenen Wohnraum aufgeben müssen im Zuge der weiteren „Arisierungsmaßnahmen". Seit Ende 1938 war eine zwangsweise „Arisierung" jüdischer Unternehmen und Geschäfte und die Beschlagnahme aller jüdischen Wertsachen betrieben worden.