Die „Aufholung" der Juden
Zu Beginn des Brandes waren Mitglieder der SA-Weener auf ihrem vereinbarten Appellplatz bei „Alfken" (heute "Memmingaburg", Hindenburgstaße) angetreten. Dort wurden Befehle und Anordnungen erteilt, um die jüdischen Mitbürger zu verhaften und Wertsachen zu beschlagnahmen. Sturmbannführer Lahmeyer erteilte auf Anweisung des Standartenführers Meyer fernmündlich dem ihm unterstellten SA-Sturmbannführer in Bunde den Befehl, die dort ansässigen Juden „aufholen" zu lassen. Abraham Ries und Ernst Moritz Ries wurden von dem Beauftragten festgenommen und im Laufe des 10. November nach Leer transportiert. Nachdem Lahmeyer auch den Befehl für die Aufholung der Juden in Weener gegeben hatte, wurden zeitgleich durch verschiedene SA-Trupps die jüdischen Bürger im Kernbereich der Stadt aus ihren Häusern geholt und zu dem vereinbarten Sammelort gebracht. Mit Gewalt drangen diese Trupps in die Häuser ein, zerstörten teilweise das Mobiliar und führten die verängstigten Menschen dann in kleinen Gruppen ab. Alte und Junge, Frauen und Kinder, alle wurden gemeinsam in das Polizeigefängnis eingesperrt. Prediger Salley Boley wurde am nächsten Nachmittag bei der Rückkehr von einer Reise am Bahnhof in Weener von der SA verhaftet. Im offenen Wagen, gefahren von SA-Leu- ten, wurde er an der zerstörten Synagoge und seiner Wohnung langsam vorbeigefahren. In der Arrestzelle des Polizeigefängnisses im Rathaus trieben seine Bewacher ihren Schabernack mit ihm und brachten ihm zum Lesen den „Völkischen Beobachter."
Die im Bereich des Hafens wohnenden Juden wurden am frühen Morgen des 10. November auf dem Hafenvorplatz zusammengetrieben und danach in SA-Begleitung weggeführt.
Da die Räumlichkeiten im Polizeigefängnis für alle Gefangenen inzwischen zu klein geworden waren, wurden die Festgenommenen dann später in den zwei Räumen der Verwaltungsstelle des Arbeitsamtes eingesperrt. Diese Räumlichkeiten be- fanden sich unmittelbar gegenüber dem Rathaus in der Fabrik „Frisia" in der Rathausstraße.
Um die Mittagszeit erfolgte der Abtransport der Männer auf Lastwagen nach Leer. Hier versammelte man die Menschen zuerst im kleinen Schlachthaus hinter dem Restaurantgebäude. Später wurden sie in die große Halle verlegt. Es gab wohl keinen entwürdigenderen Platz als diesen, der Menschen in Schlachtund Tierställen mit Vieh gleichsetzte. Von dort wurden sie zusammen mit den Leeraner Juden per Lastwagen weiter nach Oldenburg transportiert. Nach stundenlangem Stehen auf dem Kasernenplatz mit anderen Leidensgenossen aus der Region wurden sie abends durch die Stadt zum Bahnhof getrieben. Ein Sonderzug transportierte die im ostfriesischen und oldenburgischen Raum festgenommenen Juden (ca. 500) nach Sachsenhausen ins Konzentrationslager Oranienburg. Dort angelangt, wurden sie mit Knüppeln von der SS aus den Waggons geschlagen und anschließend im Laufschritt ins Lager getrieben. Inzwischen hatte es die ersten Toten gegeben. Auf dem großen Sammelplatz mussten die Juden 24 Stunden stehen. Im Laufe des Nachmittags wurden die Frauen, Kinder und die alten Männer freigelassen und konnten in ihre Wohnungen zurückkehren. Von Dezember 1938 bis Frühjahr 1939 kehrten die Männer aus den Konzentrationslagern zu ihren Familien zurück und mussten sich seither täglich bei der Polizei im Rathaus melden. Alle jüdischen Wohnungen und Geschäfte wurden nach der „Aufholung" durch SA-Posten bewacht. Vor einigen Geschäften wurden auch Doppelposten aufgestellt, die alle am Nachmittag des 10. November, als die Ehefrauen und Kinder wieder in ihren Häusern waren, von ihrer Wachfunktion entbunden wurden. Die SA-Wachen hatten die Aufgabe, eventuelle Plünderungen zu verhindern. Tatsache ist aber, dass am 10. November einige Geschäfte geplündert und die Waren abgefahren wurden.