Arbeiterwiderstand und NS-Repression im Rheiderland
aus: Theus Graalmann: Mit offenem Blick und mit warmem Herzen - 75 Jahre Sozialdemokratie in Bunde
(mit freundlicher Genehmigung des Autors)
- Reichstagswahlen 1930
- Vermehrte Aktivitäten der NSDAP im Rheiderland
- Zusammenstöße in Bunde
- Gewaltsame Auseinandersetzungen im Deutschen Reich
- Reichstagswahlen Juli 1932
- Angriffe gegen Bunder Sozialdemokraten
- Reichstagswahlen November 1932
- Die Bunder SPD im Dritten Reich
- Behinderungen im Wahlkampf
- Reichstagswahlen 1933
- Kommunalwahlen 1933
- Wahl des Bürgermeisters
- Verhaftungen in Bunde
- Beschlagnahmungen in Bunde und im Rheiderland
- Ausschaltung und Verbot der SPD
- Anpassung und Verweigerung
Reichstagswahlen 1930
Bei den Reichstagswahlen im September 1930 verlor die SPD im Deutschen Reich gegenüber der Wahl von 1928 fast fünf Prozentpunkte und erreichte noch 24,5%; in Bunde erhielt sie zwei Stimmen weniger als 1928 (314 - 312 Stimmen) und büßte aufgrund der wiederum gestiegenen Wahlbeteiligung fast drei Prozentpunkte ein.
Mit 29,3% der Stimmen lag das Bunder SPD-Ergebnis jedoch wieder erheblich über dem Reichsniveau. Die NSDAP erzielte enorme Stimmengewinne; im Reichsgebiet stieg ihr Stimmenanteil von 2,6% (1928) auf 18,3%. In Bunde gewannen die Nationalsozialisten gegenüber der Wahl von 1928 über 150 Stimmen (84 - 239 Stimmen). Das Bunder Ergebnis der NSDAP lag mit 22,3% noch um einiges höher als im Reichsgebiet. Im Regierungsbezirk Aurich erhielten die Nationalsozialisten 22,8% der Stimmen, im Landkreis Wittmund gar 50,3%. Diese Ergebnisse verdeutlichen, welch bedenklichen Machtfaktor diese Partei mittlerweile darstellte.
Vermehrte Aktivitäten der NSDAP im Rheiderland
Die Erfolge der Nationalsozialisten blieben auch im Rheiderland nicht ohne Folgen. Gruppen der NSDAP und der SA bildeten sich in verschiedenen Orten. "Schon in den Jahren vorher (d.h. vor 1933) sah man hier in Bunde das Braunhemd immer mehr und zahlreicher vertreten," berichtet die Schulchronik. In seinen "Erinnerungen aus dem Kampf der NSDAP im Altkreise Weener" stellte der nationalsozialistische Landtagsabgeordnete Jaques Groeneveld aus Bunderhee im Jahre 1935 fest: "Die Septemberwahl 1930 brachte den ersten großen Aufschwung der (nationalsozialistischen) Bewegung auch im Rheiderland. In Weener und in Bunde bildeten sich Ortsgruppen."
Eine Folge dieser Stimmengewinne der NSDAP in Bunde und ihrer vermehrten Aktivitäten waren teilweise gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten bzw. Kommunisten auf der einen und Nationalsozialisten auf der anderen Seite. Jaques Groeneveld beschrieb eine NSDAP-Veranstaltung im Hotel "Zur Blinke" in Bunde am 7. Januar 1931 folgendermaßen (auffällig ist dabei, daß im Zusammenhang mit Sozialdemokraten und Kommunisten von "verhetzten" Menschen die Rede ist, auch das Klischee des intrigierenden Juden fehlt nicht; ausdrückliche Erwähnung findet Toni Bültena als Gewerkschaftssekretär): "Zum ersten Mal war der große Saal der Blinke in einer NSDAP-Versammlung brechend voll ... Im Saal wenig Anhänger, einige Bürgerliche, viele verhetzte Arbeiter mit ihrem Gewerkschaftssekretär ... Sicher wäre die Versammlung in voller Harmonie zu Ende gegangen, wenn nicht dauernd verhetzte Menschen, bei einem in der Nachbarschaft wohnenden Juden aufgeputscht und besoffen gemacht, die Versammlung störten und zu sprengen versucht hätten. Die anwesende Polizei versuchte, möglichst objektiv für Ruhe und Ordnung zu sorgen, konnte aber nicht verhindern, daß im weiteren Verlauf des Abends die Stimmung immer erregter wurde. Kampflieder der Bewegung wechselten mit den Liedern der Marxisten. Eine Durchsuchung nach Waffen wurde von den 'Roten' inszeniert. Zum Schluß wurden die Störungen geringer ... Angriffe auf einzelne Parteigenossen auf dem Nachhauseweg konnten unsere Siegesstimmung nur erhöhen."
Zusammenstöße in Bunde
Einige solcher Auseinandersetzungen wurden gewaltsam ausgetragen und fanden teilweise ein gerichtliches Nachspiel. Einer dieser Vorfälle ereignete sich im Januar 1931 nach einer NSDAP-Veranstaltung in Weener, an der im Rahmen einer "freien Aussprache" auch SPD-Mitglieder teilgenommen hatten. Aufgebrachte Sozialdemokraten und Angehörige des Reichsbanner bewarfen am Knotenpunkt in Möhlenwarf Kraftfahrzeuge von Nationalsozialisten, die nach Bunde zurückkehrten, mit Steinen und beschädigten sie. Einige Nazis behaupteten später, sie seien beschossen worden und einer der beteiligten Sozialdemokraten habe seine Begleiter aufgefordert, einen Nationalsozialisten umzubringen. Beim Landgericht in Aurich wurde daraufhin Klage erhoben wegen "Landfriedensbruch und Aufforderung zum Totschlag mit politischen Gründen in Bunde". Sowohl der behauptete Schußwaffengebrauch als auch die angebliche Aufforderung zum Totschlag erwiesen sich als Erfindungen der Nazis. Zwei der zahlreichen Beschuldigten wurden wegen Landfriedensbruch zu vier bzw. drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Für einen von ihnen reichten der Leeraner SPD-Reichstagsabgeordnete Hermann Tempel und der Bunder Pastor Lötter mit Erfolg Bittschriften für einen Haftaufschub ein; der Verurteilte brauchte wegen der Entbindung seiner Frau seine Haft erst im Januar 1932 anzutreten.
Ein weiterer Vorfall ereignete sich ebenfalls im Januar 1931, als ein größerer Trupp von Oldenburger SA-Leuten den Bahnhof in Bunde verließ, um - nach Angaben eines beteiligten SA-Mannes - einen "Propagandamarsch zu einem Parteigenossen" in Bunderneuland durchzuführen. Zwischen den Marschierern und Passanten kam es zunächst zu verbalen Auseinandersetzungen, dann zu Handgreiflichkeiten, die in eine Schlägerei ausarteten und in deren Verlauf es auf beiden Seiten Verletzte gab. Anklage wurde gegen sechs Bunder erhoben, die der KPD oder der SPD angehörten bzw. nahestanden. Drei von ihnen wurden freigesprochen, drei erhielten Gefängnisstrafen zwischen vier und sieben Monaten. Das Gericht schenkte der Darstellung der Angeklagten keinen Glauben, daß die Gewalttätigkeiten nicht von ihnen, sondern von der SA ausgegangen seien. Jaques Groeneveld beschrieb diesen Vorfall als eine "Straßenschlacht in Bunde, bei der auf beiden Seiten Blut floß, ohne daß es zu schweren Verletzungen kam." Er kommentierte dieses Ereignis folgendermaßen: "Jedenfalls hatte die Rheiderländer SA und die Partei ihre Feuerprobe in diesen Tagen bestanden. Wir wußten, daß wir uns auf unsere SA unbedingt verlassen konnten. Der SA-Führer Jan Lahmeier und seine Männer ließen nicht mit sich spaßen." Und später betonte er: "Wer uns drohte, bekam die Faust zu spüren."
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, die eine rheiderländer Wissenschaftlerin über diesen Gerichtsprozeß trifft: "Auffällig an dem Verfahren ist die Tatsache, daß kein SA-Angehöriger angeklagt worden ist. Der Vorgang läßt sich zwar nicht mehr genau rekonstruieren, doch eine Mitschuld der SA an der Schlägerei ist nicht auszuschließen. Ihr Marsch in geordneter Formation durch die Gemeinde mußte unweigerlich die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich lenken und ist sicherlich auch von der SA beabsichtigt gewesen. Die SA war im ganzen Deutschen Reich als Schlägertruppe bekannt. Aufgrund dieser Tatsache ist daher wenigstens eine Mitschuld an der Entladung der aufgestauten Emotionalität denkbar." Schließlich bemerkt die Autorin bezüglich der Rolle des Gerichts, daß "in diesem vorliegenden Falle die Justiz der SA zumindest wohlwollend gegenübergestanden zu haben" scheint.
In einem weiteren Verfahren waren drei Bunder angeklagt, im April 1932 drei Bunder NSDAP-Mitglieder angegriffen und teilweise verletzt zu haben. Das Schöffengericht in Emden verurteilte einen der Angeklagten und sprach die anderen frei. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht in Aurich wurde der Angeklagte auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.
Gewaltsame Auseinandersetzungen im Deutschen Reich
Auseinandersetzungen dieser Art, Schlägereien usw. waren im Deutschen Reich keine Einzelfälle; sie häuften sich jedoch kurz vor den Reichstagswahlen im Juli 1932. Eine kleine Sammlung von Schlagzeilen aus der Rheiderland-Zeitung über Vorkommnisse im Deutschen Reich Anfang Juli 1932 mag das belegen:
- "Wieder schwere politische Zusammenstöße"
- "Zusammenstoß zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten"
- "Ernste Zusammenstöße zwischen nationalsozialistischen und republikanischen Studenten"
- "Blutiger Sonntag"
- "Schwere Zusammenstöße bei einem Roten Sporttreffen in Essen"
- "Feuerüberfälle auf Berliner KPD-Lokale"
- "Straßenterror dauert an"
- "Schwere Zusammenstöße in Duisburg"
- "Planmäßiger Überfall auf Nationalsozialisten und Polizei"
Die Situation eskalierte schließlich: die Zusammenstöße häuften sich und wurden immer brutaler, so daß die Regierung am 17. Juli 1932 ein Verbot aller Veranstaltungen unter freiem Himmel erließ. Außerdem wurde der Ausnahmezustand über Berlin und Brandenburg verhängt. Beide Maßnahmen wurden kurz vor den Wahlen wieder aufgehoben, "nachdem in den letzten Tagen die Störungen der öffentlichen Ordnung wesentlich nachgelassen haben."
Reichstagswahlen Juli 1932
Unter diesen Voraussetzungen kann es nicht verwundern, daß die Wahlen am 31. Juli 1932 in einer äußerst angespannten Situation stattfanden. Geradezu erleichtert stellte die Rheiderland-Zeitung am Tage nach der Wahl fest: "Ruhiger Verlauf der Wahlen in Ostfriesland - Nur in Westrhauderfehn wurde geschossen." An einzelnen Orten kam es zu kleineren Unruhen, u.a. auch in Bunde.
Hier "war es schon in der Nacht zum Sonntag (dem Wahltag) sehr unruhig gewesen, so daß die Polizei Verstärkung anfordern mußte. Im Laufe des gestrigen Sonntags nahm die Erregung zu", so daß die Polizei Zusammenstöße in Bunde befürchtete. "Es hatten sich vereinzelt Gruppen zusammengefunden, unter denen man auch holländische Arbeiter bemerkte.
Die Polizei, die noch drei Beamte aus Weener angefordert hatte, zerstreute verschiedentlich die Menge; der Abend und die Nacht verliefen aber in Bunde sonst ohne wesentliche Zwischenfälle."
Bei diesen Reichstagswahlen verlor die SPD im Reichsgebiet fast drei Prozentpunkte, erreichte 21,6% der Stimmen und damit 133 Sitze im Reichstag (vorher 143). In Bunde konnte die SPD erneut einen Stimmenzuwachs verzeichnen, nämlich von 314 auf 347; insgesamt jedoch sank ihr Stimmenanteil aufgrund der größeren Anzahl der Wähler von 29,3 % (1930) auf 27,5 %, womit sie jedoch wiederum ein besseres Ergebnis als im Reichsgebiet erzielte.
Die NSDAP konnte ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln, denn er stieg von 18,3 % auf 37,3 %. Dadurch erhielten die Nationalsozialisten statt bisher 107 nun 230 Mandate im 607 Sitze umfassenden Reichstag. Auch in Bunde verdoppelte sich das Ergebnis dieser Partei und lag mit 45,1% (vorher 22,3 %) deutlich über dem Resultat im Reichsgebiet. Zugleich erreichten die Nationalsozialisten in Bunde mit 569 Stimmen das beste Ergebnis aller Parteien.
Angriffe gegen Bunder Sozialdemokraten
In welch starkem Maße die SPD in Bunde Anfeindungen und Verunglimpfungen von politischen Gegnern bzw. Nationalsozialisten ausgesetzt war, wird aus dem Schreiben eines Bunder Geschäftsmanns deutlich. Dieser wandte sich im Oktober 1932 vor der oben erwähnten Berufungsverhandlung eines Bunders gegen seine Verurteilung wegen eines angeblichen Angriffs auf NSDAP-Mitglieder unaufgefordert an das Landgericht in Aurich. In diesem Brief nannte der Schreiber das Vereinslokal der SPD, den Gasthof "Zur Waage", "die Centrale aller aufrührerischen Elemente der Eisernen Front, wo selbst Terror und ähnliche Taten vorbereitet werden." Insbesondere der zu jener Zeit bekannteste Bunder Sozialdemokrat, Toni Bültena, war in dem Brief wiederholt Gegenstand übelster Vorwürfe. Im Verlauf seines Briefes behauptete der Geschäftsmann, "die Urheber und Anstifter bei solchen Taten (seien) als Schrecken für die friedliebende Bürgerschaft bekannt: Als Organisator: Gewerkschaftssekretär Antoni Bültena ..." Im Brief hieß es an anderer Stelle: "Während solche und ähnliche Taten ausgeführt werden, sitzt der Arbeiterführer Bültena bei Gastwirt v.d. Berg, um den Anschein zu erwecken, als wäre er an allem unschuldig, obwohl er, wie auch in der letzten Wahlnacht, mit seinen Genossen, bewaffnet mit Eisenstangen, Hämmern und Zaunlatten usw., immer unterwegs ist." Des weiteren behauptete der Schreiber, daß "der Arbeiterführer A. Bültena das Vertrauen übelbeleumdeter Elemente genießt." Der Schluß dieses Briefes stellt eine furchtbare Vorwegnahme der Sprache und Maßnahmen des Dritten Reiches gegen Andersdenkende dar; der Schreiber beendete seinen Brief mit der Hoffnung, "daß diese Schreckenspersonen bis zur nächsten Wahl unschädlich gemacht sein werden."
Reichstagswahlen November 1932
Da nach den Reichstagswahlen vom Juli 1932 Koalitionsverhandlungen erfolglos blieben, wurde ein neuer Wahltermin für den 6. November 1932 festgelegt. Der Wahlkampf war relativ ruhig; im Reichsgebiet ereigneten sich kaum Zusammenstöße oder gewaltsame Auseinandersetzungen; im Rheiderland gab es derartige Vorkommnisse überhaupt nicht.
Die sozialdemokratischen Ortsvereine des Rheiderlands veröffentlichten Anzeigen gemeinsam mit dem Reichsbanner als "Eiserne Front Rheiderland"; insgesamt führten sie - wie auch die meisten anderen Parteien - jedoch weniger Kundgebungen durch. Nach dem Wahltag war zu vermelden: "Ruhiger Wahlverlauf im ganzen Reich - Verlauf weit ruhiger als sonst - Nur kleinere Zwischenfälle". Auffallend an diesen Wahlen waren die Stimmenverluste der NSDAP; auch die SPD büßte Stimmen ein, während die KPD und die DNVP im Reichsgebiet ihren Stimmenanteil ausbauen konnten. Das Ergebnis der wichtigsten Parteien in Bunde im Überblick (in Klammem das Ergebnis der Wahl vom Juli 1932):
Die Bunder SPD im Dritten Reich
Die Übernahme der Regierung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 bewirkte einschneidende Verschlechterungen für die politische Arbeit der oppositionellen Parteien. Eine NSDAP-Kundgebung am 7. Februar in Weener ließ bereits eine Ahnung dessen aufkommen, was den Oppositionsparteien bevorstand; der nationalsozialistische Landtagsabgeordnete Schmidt aus Hildesheim (genannt "der kleine Goebbels") sprach zum Thema: "Die November-Verbrecher-Parteien müssen sterben, damit Deutschland leben kann." Die Ortsgruppe Holthusen der NSDAP führte ebenfalls Anfang Februar einen Abend durch unter dem Titel "14 Jahre Verrat am Deutschen Arbeiter - In 4 Jahren mit uns zu Deutschlands Freiheit."
Bernhard Fokken schrieb 1983 als Chefredakteur der Rheiderland-Zeitung eine mehrteilige Serie über "Das Rheiderland unter dem Hakenkreuz". Zum Wahlkampf im Februar 1933 bemerkte er: "In diesem Wahlkampf vergeht vor allem den linken Parteien Hören und Sehen ... Die Sozialdemokraten bleiben nicht ungeschoren. In ihre Versammlungen ziehen SA-Leute, säumen die Zuschauerreihen, drohen mit ihren Karabiner-Haken ... Die SPD hat schon verloren, aber sie mobilisiert noch einmal alle Reserven. Zwischen dem 17. und 20. Februar hält sie im Rheiderland in Stapelmoor (mit MdR Hermann Tempel), in Weener (mit W. Bubert, Emden), in Holthusen (mit Alfred Mozer), in Ditzumerverlaat (mit Louis Thelemann) und in Bunde (mit Alfred Mozer) fünf Versammlungen ab. In Ditzumerverlaat kursiert das Gerücht, der Landrat habe die Kundgebung verboten. Doch es erweist sich als falsch. Aber für ausgeschlossen hält so etwas keiner mehr."
Behinderungen im Wahlkampf
Oppositionelle Parteien wurden besonders im Wahlkampf stark behindert: Nazis störten Wahlveranstaltungen massiv und bedrohten Redner, manche dieser Veranstaltungen wurden von vornherein nicht erlaubt oder zunächst genehmigt und dann kurzfristig verboten. Auch die Bunder SPD wurde Opfer solcher Maßnahmen: während der oben erwähnten Veranstaltung der Bunder SPD mit Alfred Mozer in der Gaststätte "Zur Waage" verwarnte "der anwesende Landjäger den Redner wegen einiger scharfer Äußerungen." Die Bunder SPD plante für den 4. März 1933, dem Vortag der Reichstagswahl, eine öffentliche Kundgebung mit dem Leeraner SPD-Reichstagsabgeordneten Hermann Tempel. Diese Veranstaltung wurde kurzfristig verboten, Hermann Tempel außerdem mit Redeverbot belegt.
Die Atmosphäre vor den Wahlen im März 1933 wird beispielhaft an einem Fackelzug der NSDAP-Ortsgruppe Bunde am Vorabend der Reichstagswahl deutlich. Der Umzug endete an der Boenster Straße mit dem Verbrennen eines großen Reisighaufens, was Dr. Bauer, der Leiter der NSDAP-Ortsgruppe, "als symbolische Handlung" deutete. "Wie dieser unnütze Schutt von den Flammen vertilgt werde, so müsse auch der Schutt, der sich in 14 Jahren marxistischer Herrschaft im deutschen Vaterlande gebildet habe, vertilgt und ausgerottet werden." Anschließend wurde "die rote Fahne heruntergezogen und verbrannt."
Reichstagswahlen 1933
Die massiven Behinderungen und Einschüchterungen im Wahlkampf hatten den von den Nazis beabsichtigten Erfolg: bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erzielten die Nationalsozialisten erhebliche Stimmengewinne. Die Ergebnisse sowohl der SPD als auch der NSDAP lagen in Bunde erneut über dem Reichsergebnis: die Sozialdemokraten erhielten in Bunde 21,8% (Reich: 18,3%), die NSDAP kam auf 51,4% (Reich: 43,9%). Bunde lag damit hinsichtlich des Stimmenanteils der SPD unter dem Ergebnis im Rheiderland, das bei 24,7% lag. (Dabei schwankte das Ergebnis zwischen 70,2% in Beschotenweg, 41,1% in Bunderhammrich und 9,3% in Hatzum, 5,3 % in Holtgaste und 0% - keine Stimme - in Böhmerwold.)
Kommunalwahlen 1933
Im Vorfeld der Kommunalwahlen gab es in Bunde Probleme bei dem Versuch der rechten Parteien und Gruppen, eine gemeinsame Liste aufzustellen. Insbesondere die Bunder NSDAP zeigte großes Interesse an einer solchen Liste. "Die Bestrebungen der National-Sozialisten gingen dahin, eine parteipolitisch aufgezogene Koalitionsliste zu bilden; sie sind jedoch gescheitert." Daraufhin entschlossen sich die Nazis, "eine eigene, rein national-sozialistische Liste" aufzustellen, "während die übrigen Gruppen in der gestern abend abgehaltenen Besprechung eine bürgerliche Einheitsliste, zusammengesetzt aus Vertretern der Kaufmannschaft, Beamten, Handwerker und der Landwirtschaft bildeten." Die Bunder Nationalsozialisten konnten ihre Enttäuschung nicht verhehlen und machten ihrer Verärgerung in einer Anzeige Luft: "Achtung! Kommunalwahlen Bunde!
Die Verhandlungen zur Bildung einer Einheitsliste sind an einigen Personen gescheitert. Gewerbetreibende, stellt Euch nicht einer Liste der Splittergruppen zur Verfügung, sondern tretet geschlossen ein für die Liste der NSDAP, die alle Stände und Berufe berücksichtigt."
Bei den Kommunalwahlen am 12. März 1933 traten in Bunde die SPD, die KPD, die NSDAP und die Bürgerliche Einheitsliste "Schwarz-Weiß-Rot" an. Das Ergebnis der Wahlen entsprach wohl kaum den Erwartungen der NSDAP, denn es gelang ihr nicht, die absolute Mehrheit zu erreichen. Hatte die Partei bei den Reichstagswahlen in Bunde eine Woche zuvor noch über 51% der Stimmen erreicht, so waren es bei den Gemeindewahlen lediglich 42%. Das Ergebnis sah im einzelnen folgendermaßen aus (in Klammern ist die vorherige Anzahl der Sitze angegeben):
Für die Bunder SPD zogen Toni Bültena, Hinderk Schoormann, Albert Düpree und Reinder Nanninga in den Gemeinderat ein. Das Ergebnis der SPD bedeutete zwar auf der einen Seite den Verlust von zwei Mandaten, war jedoch mit immerhin fast 23% der Stimmen besser als das bei der Reichstagswahl eine Woche zuvor.
Toni Bültena wurde auch in den Kreistag des Landkreises Leer gewählt. (Der Landkreis Weener war am 1. Oktober 1932 im Zuge von Sparmaßnahmen der preußischen Regierung aufgelöst und mit Borkum dem Landkreis Leer zugeschlagen worden.) Bültena nahm am 7. April 1933 an der konstituierenden Sitzung des Kreistages in Leer teil, in dessen Verlauf Hinderk Schoormann zum stellvertretenden Vorstandsmitglied der Sparkasse Weener gewählt wurde. Ein weiterer Bunder Sozialdemokrat, Diedrich Borchers, wurde in derselben Sitzung zum Vertrauensmann für den Amtsgerichtsbezirk Weener berufen. Diese Kreistagssitzung war zugleich die letzte dieses Gremiums; es trat in dieser Form nicht wieder zusammen.
Wahl des Bürgermeisters
Wie die Nazis mit unliebsamen Wahlentscheidungen umzugehen gedachten, wurde in Bunde schnell deutlich: der gewählte Vertreter der KPD, Jan Haken, konnte nach den Kommunalwahlen an keiner Gemeinderatssitzung mehr teilnehmen; er wurde bereits zur konstituierenden Sitzung am 4. April 1933 "auf Verfügung des Landrats in Leer nicht eingeladen." (Grundlage dieser Verfügung war ein Erlaß des Reichskommissars für das Land Preußen, von Papen, vom 20. März 1933. Darin wurde bestimmt, daß gewählte KPD-Mitglieder nicht an Sitzungen von Gemeinderäten und ähnlichen Gremien teilnehmen dürften, "da sie sämtlich unter dem Verdacht des Hochverrats stehen.")
In der ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderats erlitten die Nationalsozialisten eine Schlappe, denn nicht ihr Kandidat für den Posten des Fleckensvorstehers wurde gewählt, sondern der bisherige Amtsinhaber Klaassens, der auf Vorschlag der Fraktion "Schwarz-Weiß-Rot" mit den Stimmen dieser Fraktion und der SPD gewählt wurde. Entsprechend war auch das Ergebnis bei der Wahl des Stellvertreters. Auch hier setzte sich der Kandidat der Fraktion "Schwarz-Weiß-Rot" durch.
Verhaftungen in Bunde
Nachdem am 1. Mai in vielen Orten des Rheiderlandes anläßlich des "Tages der nationalen Arbeit" Kundgebungen stattgefunden hatten, schlugen die Nationalsozialisten in den folgenden Tagen los: Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter wurden verhaftet. Bunde stellte dabei keine Ausnahme dar. Toni Bültena wurde am 3. Mai verhaftet; sein - der Gewerkschaft gehörender - Pkw beschlagnahmt. Bültena war zunächst im Gefängnis in Leer inhaftiert, wurde aber kurze Zeit später wieder freigelassen.
Andere Bunder hatten bereits vorher ein ähnliches Schicksal erlitten:
Die KPD-Mitglieder Kurt Bluhm, Eppe Wilken, Jan Haken und Johann Gröbler waren schon im März bzw. April 1933 verhaftet worden. (Bluhm blieb insgesamt zehn Jahre inhaftiert; Eppe Wilken war bis zum Dezember 1933 in Haft; Haken war zunächst in Leer inhaftiert, wurde dann in das Konzentrationslager Börgermoor transportiert und dort sechs Monate gefangengehalten; nach seiner Freilassung wurde er 1937 wieder verhaftet und war sieben Monate in Vechta inhaftiert; Johann Gröbler wurde insgesamt zehn Monate im Konzentrationslager Börgermoor gefangengehalten.) 1938 wurde Lambertus Koop von den Nazis festgenommen; er war zunächst in Leer und anschließend bis zum September 1941 im KZ Sachsenhausen-Oranienburg inhaftiert.
Beschlagnahmungen in Bunde und im Rheiderland
Zeitgleich mit dieser Verhaftungswelle fanden ab dem 2. Mai 1933 überall im Deutschen Reich Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Gewerkschaften und oppositionellen Parteien statt. Im Rheiderland beschlagnahmten die Nationalsozialisten vom 12. bis zum 17. Mai 1933 Geldmittel und Inventar sozialdemokratischer Ortsvereine und des Reichsbanner. Gleich zu Beginn dieser Aktionen war der Bunder SPD Ortsverein Opfer dieser Maßnahmen: der Bunder Landjägermeister Buller beschlagnahmte am 12. Mai 1933 Bargeld, Kassen- und Mitgliedsbücher sowie Markenbücher. In den folgenden Tagen waren in entsprechender Weise auch die Ortsvereine Holthusen, Stapelmoor, Möhlenwarf und Weener sowie die Reichsbanner-Gruppen in Bunderhee, Ditzumerverlaat, Holthusen, Jemgum, Stapelmoor und Möhlenwarf betroffen. Beschlagnahmt wurde alles, was die Schergen der Nationalsozialisten fanden: Bargeld, Musikinstrumente, Bücher, Fahnen, Scherpen, Armbinden, Wimpel, Kassiererbücher, Mitgliedsmarken, Abzeichen, Stempel, Kalender, Büroartikel sowie Schränke und anderes Mobiliar.
Opfer solcher Maßnahmen wurden auch andere Organisationen, die den oppositionellen Parteien nahestanden und deswegen ebenso als "staatsfeindliche Organisationen" eingestuft wurden. In Bunde war es der Radfahrer-Verein "Solidarität", bei dem im Mai 1933 elf Saalfahrräder, andere Sportgeräte sowie Bargeld beschlagnahmt wurden. Die Hitler-Jugend des Rheiderlandes beantragte die Überlassung der Fahrräder für "sportliche Zwecke." Der Verkauf erfolgte erst im Herbst 1934, nachdem der preußische Innenminister ihn genehmigt und "der Bannführer der Hitlerjugend in Bunde ... sich zur Übernahme der eingezogenen 11 Fahrräder des ehem. Radfahrervereins 'Solidarität' zum Preise von 65 RM bereiterklärt" hatte. Außerdem wurden die anderen beschlagnahmten Sportgeräte "der Hitlerjugend kostenlos zur Verfügung gestellt, da der Wert infolge der langen Lagerung ein ganz geringer und eine andere Verwertung nicht möglich war."
Ausschaltung und Verbot der SPD
Durch diese Maßnahmen wurden die oppositionellen Parteien und Organisationen praktisch zerschlagen: politische Arbeit war nicht mehr möglich, weil durch die Beschlagnahmungen nicht nur die materiellen Voraussetzungen dafür fehlten, sondern weil führende Mitglieder von Parteien und Gewerkschaften inhaftiert waren. Die Tatsache, daß die Nazis nicht davor zurückschreckten, unbequeme und mißliebige Politiker ohne jegliche Rechtsgrundlage festzunehmen, zeigte überdeutlich, wie gefährlich es war, sich politisch gegen die NSDAP zu betätigen.
Am 24. Juni 1933, d.h., erst nach zahlreichen staatlichen Maßnahmen gegen sozialdemokratische Politiker und Ortsvereine, verbot der Reichsinnenminister die SPD, weil sie "als staatsfeindliche Organisation anzusehen" sei. "Sämtliche Mitglieder der SPD, die heute noch den Volksvertretungen und Gemeindevertretungen angehören, sind sofort von der weiteren Ausübung ihrer Mandate auszuschließen, weil ihre Weiterbetätigung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt." So nahmen an der Sitzung des Bunder Gemeinderats am 6. Juli 1933 keine Sozialdemokraten mehr teil und nur noch ein Vertreter der Fraktion "Schwarz-Weiß-Rot". In der Sitzung am 10. August 1933 waren nur noch nationalsozialistische "Parteigenossen" vertreten (von denen zwei vorher der Fraktion "Schwarz-Weiß-Rot" angehört hatten), und die Sitzung im September 1933 wurde von dem neuen Fleckensvorsteher Winzenborg geleitet. Er war, nachdem sein Vorgänger Wilhelm Klaassens am 22. Juli 1933 seines Amtes enthoben worden war, von der NSDAP für diesen Posten bestimmt worden.
Anpassung und Verweigerung
Angesichts des gesellschaftlichen Drucks kehrten auch Sozialdemokraten und Kommunisten ihren früheren Parteien den Rücken; so berichtete die Gestapo Wilhelmshaven 1934, es hätten sich auch ehemalige "Anhänger und Funktionäre (der SPD und KPD) in der Zwischenzeit umgestellt und (seien) Mitglieder der SA und der NSBO geworden."
Doch gab es auch Menschen, die sich nicht in jeder Weise anpaßten. So stellte die Gestapo Wilhelmshaven 1935 in einem Bericht fest, daß ehemalige Mitglieder der SPD ihre Ablehnung des Nationalsozialismus "u.a. auch dadurch (beweisen), daß sie den deutschen Gruß wenig oder gar nicht zur Anwendung bringen." In ähnlicher Weise beklagte der Bunder Schulchronist 1936 mit Hinweis auf die gesunkene Arbeitslosigkeit: "Allerdings scheint es, als ob die Bunder Arbeiter nicht wissen, wem sie es verdanken, daß sie Arbeit haben. Der Gruß 'Heil Hitler' will gar nicht oder nur schwer über ihre Lippen."
Eine Reihe sozialdemokratischer Politiker stellte auch unter den gefährlichen Verhältnissen ihre politische Arbeit nicht völlig ein. Zu ihnen gehörte Toni Bültena. Akten der Gestapo Wilhelmshaven ist zu entnehmen, daß er zumindest in den Jahren 1933-1935 unter Beobachtung stand; so wird im Bericht vom Mai 1935 lapidar festgestellt, daß der "SPD-Funktionär Bültena nach wie vor beobachtet" werde. Zuweilen fand er als einziger Sozialdemokrat des Regierungsbezirks in den Monatsberichten der Gestapo Wilhelmshaven Erwähnung. Im Bericht vom April 1935 ist zu lesen, "daß der berüchtigte SPD-Funktionär Bültena in Bunde auffallend viel mit ehemaligen SPD-Funktionären verkehrt." Es sei beispielsweise beobachtet worden, "daß der ehemalige Landrat des Kreises Emden, Bubert, in der Wohnung des Bültena häufig ein- und ausgeht."
Offenbar war auch Hinderk Schoormann zusammen mit Toni Bültena bestrebt, Kontakte zu anderen Sozialdemokraten aufrechtzuerhalten. Im Oktober 1935 nämlich meldete die Gestapo, "daß der ehemalige Gewerkschaftssekretär Bültena in Bunde, der Vorsitzende des Landarbeiterverbandes, Schoormann, Bunde, und der SPD-Funktionär Homberg aus Wilhelmshaven sich vor kurzem in einer Gastwirtschaft in Bunde zusammengefunden" hätten, doch habe bisher noch nicht ermittelt werden können, ob "diese Zusammenkunft staatsfeindlichen Interessen diente. Die Ermittlungen in dieser Sache sind noch nicht abgeschlossen."
Es gehörte zweifellos viel Rückgrat und Mut dazu, sich in jener Zeit nicht anzupassen und durch seine Tätigkeit Gefahr zu laufen, die Aufmerksamkeit des nationalsozialistischen Apparates zu erregen und damit entsprechende Konsequenzen auszulösen. Toni Bültena blieb nicht unbehelligt: er wurde wieder verhaftet und in einem Außenlager des KZ Esterwegen, wahrscheinlich in Brual-Rhede, gefangengehalten. Nachdem er zwischenzeitlich wieder freigelassen worden war, wurde Bültena - vermutlich im August 1944 - erneut inhaftiert. Dies geschah im Rahmen einer Aktion der Nazis nach dem mißlungenen Attentat auf Hitler. In Norddeutschland wurden gleichzeitig zahlreiche ehemalige SPD-Funktionäre inhaftiert. Bültena wurde in das KZ Neuengamme bei Hamburg transportiert, "zusammen mit anderen Gleichdenkenden aus dem Kreise Leer, von denen die meisten die Heimat nicht wiedersahen." Kurz vor Kriegsende - wahrscheinlich im Frühjahr 1945 - wurde Toni Bültena aus dem KZ Neuengamme entlassen. Das Leben war für ihn und seine Familie alles andere als einfach. Er wurde offenbar ständig bespitzelt, nicht wenige mieden den Kontakt mit ihm. Besonders problematisch war es für ihn, Arbeit zu finden, da er durch das Verbot der Gewerkschaften seinen Arbeitsplatz als Gewerkschaftssekretär verloren hatte. So war er froh, von einem Bunder Unternehmer bei der Herstellung von "Reuterpalen" (dreibeinigen Holzgestellen zum Trocknen von Heu) beschäftigt zu werden.