Antijüdische Maßnahmen im Jahre 1933

Die von der Parteileitung und den Gliederungen der Partei betriebenen Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung begannen in Weener schon kurz nach der "Machtergreifung" und äußerten sich in verschiedenen Aktionen und Schikanen gegen die jüdische Bevölkerung als Ganzes wie auch gegen einzelne Bürger. Die Ausgrenzung der Juden begann schon damit, daß sie in den lokalen Publikationen nicht mehr genannt wurden. Im "Reiderländer Kalender" fehlten bereits für die Ausgabe 1933 die Inserate von jüdischen Geschäften, von denen im 1932er Kalender noch vier zu finden sind. Im Kalender von 1932 waren noch wie selbstverständlich die verschiedenen jüdischen Feste genauestens im Kalendarium aufgeführt waren. Das Erstarken der NSDAP seit den Juli-Wahlen von 1932 auf Bezirks-, Stadt- und Kreisebene veranlaßte die Herausgeber des Kalenders wohl, für die Ausgabe 1933 die jüdischen Fest- und Feiertage im Kalendarium zu streichen. Dafür erschien am Schluß des Bändchens kurz vor dem Anzeigenanhang eine Zusammenstellung der jüdischen Feiertage in gedrängter Form.

In einer ganzseitigen Anzeige informierte die Stadt Weener über alle wichtigen sozialen, wirtschaftlichen, kirchlichen und schulischen Einrichtungen. Noch im 33er Kalender stehen einträchtig die evangelische und katholische Pfarrkirche, die Baptisten-Kapelle und die Synagoge nebeneinander. Ein Jahr später wird die Synagoge an gleicher Stelle nicht mehr aufgeführt. Auch im beliebten "Ostfreesland-Kalender" fehlen ab 1934 jegliche Hinweise auf jüdisches Leben; ein Jahr vorher konnte sich der Leser noch in einer halbseitigen Übersicht über alle jüdischen Fest- und Feiertage informieren. Mit diesen kleinen Maßnahmen begann die Verdrängung der Juden aus dem Bewußtsem der Öffentlichkeit.

Bereits am 2. Februar 1933 erschien in einer Anzeige für eine Kundgebung in Stapelmoor erstmalig der Zusatz "Juden haben keinen Zutritt". Veranstalter war die NSDAP-Ortsgruppe Stapelmoor. Hier wird nur zwei Tage nach der nationalsozialistischen "Machtübernahme" deutlich, daß die Parolen auf den politischen Versammlungen kein leeres Gerede waren. Nach dem Beispiel Stapelmoors erschien am 7. Februar 1933 für die Veranstaltung der NSDAP-Ortsgruppe Weener unter einer Anzeige mit offiziellem NS-Emblem ebenfalls zum Schluß die Aussage "Juden ist der Zutritt verboten". Am 28. März erzwang die SA nachmittags in Weener die Schließung aller jüdischen Geschäftshäuser, die auch "freiwillig" erfolgte. Als Begründung für die Schließung der Geschäfte wurde die "Greuelpropaganda und der Boykott deutscher Waren im Ausland durch ausländische Juden" angegeben. Bei der Aktion kam es zu keinen Zwischenfällen.

Inzwischen hatte der SA-Standartenführer für Ostfriesland ein Schächtverbot für alle ostfriesischen Viehhöfe erlassen und angeordnet, die Schächtmesser zu verbrennen. So meldete das "Leerer Anzeigeblatt" am 28. März 1933, daß auf dem Emder Viehhof die zwanzig vorhandenen Schächtmesser durch einen SA-Trupp beschlagnahmt und verbrannt worden seien. Am gleichen Tage zog auch die SA Weener die Schächtmesser ein, die in der Wohnung von Simon Cossen waren. Dieser wohnte "Am Hafen links" und war Koscher-Schlachter, Synagogendiener (Küster) und Vorsänger in der Synagoge. Am Abend wurden die Schächtmesser und die bei Prediger Boley abgeholten Beschneidungsmesser dann öffentlich in Anwesenheit einer großen Zuschauermenge verbrannt. Alte Teekisten bildeten die Grundlage für das Feuer, in das man dann die Messer hineinwarf. SA-Sturmführer Markus hielt eine kurze Ansprache. Nach Beendigung der Aktion wurden die Überreste im Eisenbahndock versenkt.

Am 31. März wurde erstmalig ein jüdischer Handwerksmeister in "Schutzhaft" genommen. Einen Tag später begann ein mehrtägiger Boykott aller jüdischen Geschäfte. Am ersten Boykottag zeigte die SA-Weener ihre Macht bzw. ihren Machtanspruch öffentlich dadurch, daß sie den in Weener zu Besuch weilenden Auricher Viehhändler Wolff in Haft nahm und zum Polizeiamt brachte. Nach ausführlichem Verhör wurde Wolff wieder freigelassen, weil die Behauptung der SA, dieser habe "beleidigende Worte über einen ihm entgegenkommenden Trupp SA-Leute geäußert", nach Zeugenbefragungen nicht aufrechterhalten werden konnte. Im Zusammenhang mit der Schließung jüdischer Geschäfte am 28. März wurden zwei Tage später auch Waffen aus der Vorkriegszeit, wie Säbel und Pistolen, durch die SA eingezogen.

Die Ausgrenzung der Juden dokumentierte sich jedoch nicht nur in spektakulären Aktionen, sondern vollzog sich auch in kleinen Schritten. Versammlungen wurden als "rein deutsche" Versammlungen gekennzeichnet, und es verging kaum eine Berichterstattung über Parteiveranstaltungen, in der nicht in irgendeiner Form die Juden an den Pranger gestellt wurden. Selbst die Mode mußte dazu herhalten. Auf einer Versammlung der "NS-Frauenschaft Weener" Anfang August forderte die Kreisleiterin Flügge die Frauen auf, den inzwischen beliebten Bubikopf als Frisur nicht mehr zu tragen, da dies nur die Nachäffung ausländischer Mode wäre. die von Jüdinnen stammte. Vielmehr sollte man in Zukunft "den herrlichen Kopfschmuck wieder wachsen lassen und unsere Frisur tragen, wie ein deutsches Gretchen". Auf einer Versammlung der "Deutschen Christen" in Weener am 20. Juli polemisierte das NSDAP-Mitglied Lührmann gegen die Juden und forderte die Reinhaltung der Rasse durch "artgemäßen Christenglauben". Er stellte die Frage, inwieweit die Kirche sich selber von der Judenherrschaft frei gemacht habe. Zum Schluß fordert er dazu auf, "unsere Rasse von solchem Einfluß frei zu halten".

In den Abendstunden des 27. Juli 1933 wurde der jüdische Kaufmann Jakob de Jonge aus der Süderstraße Nr. 3, wo er ein Fahrradgeschäft betrieb, verhaftet. Polizei und drei SA-Leute brachten ihn anschließend zu einem mehrstündigen Verhör auf das Polizeibüro, spät abends dann in eine Gefängniszelle im Gericht. Eine große Zahl Neugieriger hielt sich lange in der Nähe des Rathauses auf und verfolgte die Vorgänge bis zum Abtransport in das Konzentrationslager Börgermoor. Die Öffentlichkeit wurde nur spekulativ über die Gründe der Verhaftung informiert. Am 3. August forderte der Kreislandbund Weener die Mitglieder, die sich "durch das Geschäftsgebaren des Kaufmannes Jakob de Jonges geschädigt fühlen", um Meldung bei der Geschäftsstelle auf unter "Mitteilungen und Notizen" berichtete die Lokalpresse, daß im Zusammenhang mit der Verhaftung seitens des Kreislandbundes eine Nachprüfung der Geschäftsbücher von de Jonge beantragt sei. De Jonge selbst gelang es übrigens in Börgermoor, Kontakte mit einem im Konzentrationslager beschäftigten Arbeiter aus Papenburg herzustellen, der seine Briefe an die Verwandtschaft in Weener übermitteln sollte. Auch ein junger SS-Anwärter erklärte sich bereit, bei dieser Hilfsaktion mitzumachen. Beide nahmen dann an einem Sonntag Kontakt mit der Familie auf.

Die Polizei erfuhr davon und verhaftete beide nachmittags im Haus de Jonge. In der Berichterstattung vom 21. September 1933 über diese Vorgänge werden die beiden "Briefträger" als Volks- und Hochverräter bezeichnet: "Dem Hochverräter wird sicherlich im Konzentrationslager ausreichend Gelegenheit gegeben werden, über die Niederträchtigkeit seiner Tat nachzudenken." Die Kommentierung und die Berichterstattung über diese Vorgänge müssen als Warnung und Einschüchterung gegenüber der Bevölkerung gesehen werden.

Eine Schikane gegen den hochangesehenen jüdischen Bäckermeister Ludwig Arends aus der Hindenburgstraße Nr. 12 ereignete sich Anfang August. Bei der Rückkehr von einer Fahrt über Land wurde er abends am Hafen von einem SA-Trupp gestoppt und festgehalten. Arends hatte wie jeden Freitag mit seinem Brotwagen die entsprechende Landtour unternommen. Die Einfahrt an der heutigen Risiusstraße/AraI-Tankstelle in die Innenstadt gab es damals noch nicht. Einige SA-Leute lauerten Arends dort in Anwesenheit von SA-Sturmführer Pramme auf  Man warf ihm vor, seinen Lehrling, der Mitglied der Hitlerjugend war, wiederholt durch Tritte ins Gesäß und Würgerei am Halse schwer mißhandelt zu haben. Arends bestritt die Beschuldigungen. Daraufhin holte man den Lehrling, der nun persönlich die Vorwürfe gegen Arends bestätigte. Daß es sich hier um eine abgesprochene Sache handelte, wurde spätestens deutlich, als man dem Beschuldigten ein Pappschild um den Hals hängte mit der Aufschrift: "Ich habe meinen Lehrling, einen deutschen Volksgenossen, schwer mißhandelt". Er wurde inmitten von zehn bis zwölf SA-Leuten durch die gesamte Innenstadt geführt. Eine große Zahl Neugieriger war inzwischen angelockt worden, denn die Mundpropaganda hatte das Ihrige dazu getan. In einer Art Volksumzug wurde "Lulu" Arends zur Vernehmung ins Rathaus gebracht, wo er sofort "in Schutzhaft" genommen wurde. Danach erfolgte die Einlieferung ins Polizeigefängnis. Arends verbrachte dort die Nacht und wurde am Sonnabendvormittag wieder entlassen. Ohne Rechtsgrundlage hatte hier die SA Ordnungsmacht und Richter gespielt. Zwar hatte die SA schon wiederholt durch eigenmächtige Aktionen gezeigt, wie sie nach ihrem Verständnis für Ruhe, Recht und Ordnung sorgen wollte, doch waren dabei meist auch Polizisten beteiligt gewesen.

Nicht nur durch die NSDAP und ihre Gliederungen kam es gleich zu Beginn der Herrschaft der neuen Machthaber zu antijüdischen Aktionen. Auch die Behörden und Amtsinhaber in Stadt und Kreis trugen durch ihre Entscheidungen dazu bei, das Leben jüdischer Bürger in der Stadt zu erschweren und sie in ihren Freiheitsrechten einzuengen.

Schon im Frühsommer 1933 hatte Bäckermeister Ludwig Arends aus der Hindenburgstraße 12 (vorher Westerstraße) für sich und seine beiden Schwestern Luise und Therese beim Landrat in Leer Ausreisesichtvermerke beantragt, um nach Holland zu fahren. Der Landrat konsultierte den Bürgermeister in Weener und bat um Informationen, ob gegen eine Genehmigung Bedenken bestünden. Dieser meinte, eine solche Maßnahmen sei besonders für Ludwig Arends bedenklich wegen der von holländischen Juden in ausländischen Zeitungen verbreiteten unrichtigen Angaben über Verhältnisse des Rheiderlandes. Bereits zwei Tage später informierte der Bürgermeister den Landrat über eine frühere Ablehnung eines Sichtvermerkes für die drei Personen. Er sprach sich dafür aus, für Ludwig und seine Schwester Luise, die als Damenschneiderin tätig war, auch jetzt einen Sichtvermerk vorläufig nicht zu erteilen. Da die andere Schwester Therese inzwischen bei der Kreisverwaltung Leer durch Unterlagen nachgewiesen hatte, daß sie in Amsterdam eine Arbeit aufnehmen wollte, hatte der Bürgermeister in diesem Fall keine Bedenken. Von Bürgermeister und Landrat, beide in politischer Funktion tätig, wurde über ein Geschwisterschicksal entschieden. Nachdem der Landrat selber schon in seiner Anfrage die Ausstellung für den Antragsteller für bedenklich gehalten hatte, erweiterte der Bürgermeister dies auf eine weitere Person. Wollte er damit seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit demonstrieren oder sich Ansehen verschaffen gegenüber dem Landrat? Gründe für die Verweigerung für die Schwester werden im ganzen Schriftverkehr nicht genannt!

Am 23. Juli 1933 verließ Therese Arends ihre Geburtsstadt mit dem Ziel Amsterdam. Drei Monate später, am 21. Oktober 1933, folgte auch ihre Schwester und meldete sich in Groningen in der Folkingerstraße 52 an. Nur drei Wochen später, am 10. November 1933, verließ Ludwig Arends unter dem Eindruck der Demütigungen, die er Anfang August über sich hatte ergehen lassen müssen, ebenfalls seine Heimatstadt und meldete sich in Bremen, Neustadtsbahnhof 24, an.

Nachdem im Laufe des Jahres 1933 der Kaufmann Arnold Israels aus der Lindenstraße 27 ohne ordentliche Abmeldung nach Holland geflüchtet war, bemühte sich seine Ehefrau Edith Israels, geb. Arons, um die Ausreise. Der Landrat befürchtete, daß durch die Ausreise die angenommene hetzerische Tätigkeit ihres Ehemannes Unterstützung finden wird. Deshalb sprach er sich gegen eine Genehmigung aus und schlug dann vor, den Ehemann im Ausland dadurch zum Schweigen zu bringen, indem man der Ehefrau androhe, sie in einem Konzentrationslager unterzubringen. Der Bürgermeister bestätigte den Landrat in seinen Bedenken. Auch er sprach sich dafür aus, wegen politischer Bedenken den Antrag abzulehnen, da zu befürchten sei, daß durch die Ausreise die hetzerische Tätigkeit ihres Ehemannes unterstützt und in erhöhtem Maße betrieben wird. Am 23. Dezember erhielt die Antragstellerin ohne Angabe von Gründen eine kurze Mitteilung über die Ablehnung des Antrages. Ihr Paß wurde eingezogen.

Wider jeglichen Rechtsgrundsatz, der eine Sippenhaft juristisch zu dieser Zeit noch nicht billigte, drohte der Landrat der Ehefrau KZ-Unterbringung an, um damit den Ehemann zu bekämpfen. Hier mußte mit allen Mitteln ein Kritiker des NS-Systems zum Schweigen gebracht werden, der von Holland aus seine Möglichkeiten nutzte, indem er in dortigen Zeitungen über die Vorgänge in Ostfriesland und im Reichsgebiet informierte. Er galt schon in Weener als Anhänger der SPD, der die NSDAP hier stark bekämpft hat. Beide Beispiele zeigen, wie schon im Jahre 1933 jüdische Bürger durch die Behörden und Ämter in ihrer Freiheit eingeschränkt wurden.

Am 30. August 1934 verließ Frau Israels mit den beiden Kindern Lore und Louis ihren Geburtsort und meldete sich in Alkmaar, Holland, an.